Kultur: Musizieren in Topform
Festkonzert in der Friedrichskirche
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Lehre die Menschen, mit ihrem Gehör zu sehen und mit ihrem Herzen zu hören, fordert der libanesische Schriftsteller Khalil Gibran von der Musik. Passende Worte auch für das Festkonzert zum 70-jährigen Bestehen des Sinfonieorchesters Collegium musicum Potsdam, die von den Musikern als klangprächtiges Selbstgeschenk am Samstag in der rappelvollen Babelsberger Friedrichskirche an das Publikum weitergereicht wurden.
Unter ihnen auch Mitstreiter von einst, wie die langjährige Vorstandsvorsitzende Dagmar Müller sowie die Orchestermusiker Christel und Walter Lehmann. Wobei es Christel Lehmanns Idee war, dass ihr Musikschulschüler Knut Andreas die Leitung des Collegium musicum übernehmen könnte, was er dann auch tat. Welche gemeinsame Erfolgsstrecke man dabei in den vergangenen 17 Jahren zurückgelegt hat, bezeugte das festliche Konzert.
Es begann mit dem kurzen Stück „Andante festivo“ von Jean Sibelius, dessen breit fließender Melodienstrom schließlich zu hymnischer Größe anschwillt. Doch eigentlich sollte an seiner Stelle die posthume Uraufführung des „Scherzo“ von Ensemblegründer Hans Chemin-Petit erfolgen, doch das Notenmaterial wurde nicht rechtzeitig fertig. Nun soll es in einem späteren Konzert erklingen.
In Topform zeigen sich die Musiker ebenso beim gemeinsamen Spiel mit der Geigerin Elena Soltan, wobei beide zusammen sogleich den Einstand in Samuel Barbers Violinkonzert vollziehen – mit schwelgerischem Saitengesang und romantisch schmachtender Begleitung. Auch den Brio-Ausbrüchen zeigen sie sich gewachsen.
Klar, direkt und zupackend ist der Ton der Solistin in den schnellen Ecksätzen. Gefühlsstark wird der von elegischer Oboenkantilene eingeleitete Andante-Satz gespielt, wobei auch hier die selbstbewusste Saitenrhetorik angenehm ins Ohr fällt. Im präzisen Zusammenspiel und mit virtuosem Draufgängertum jagt der Finalsatz „Presto in moto perpetuo“ vorüber. Die Solistin wird gebührend gefeiert und bedankt sich mit dem „Furie“-Satz aus der 2. Sonate von Eugène Ysaÿe.
Zum Höhepunkt des Abends wird jedoch die schier atemberaubende, weil ausdrucksberstende und klangintensive, sauber intonierte Wiedergabe der Sinfonie Nr. 12 „Das Jahr 1917“ von Dmitri Schostakowitsch. Die vier ohne Pause aufeinanderfolgenden Sätze tragen programmatische Überschriften, die vom revolutionären Umbruch in Russland in opulenten Klanggemälden erzählen. Der typische Orchestersound Schostakowitschs – hier wird er nicht nur gefordert, sondern Ereignis.
Sonor und farbensatt klingt das 65-köpfige Ensemble (mehr Musiker passen nicht in den Altarraum), wird mit enormer Intensität musiziert. Da finden im „Revolutionären Petrograd“ erbitterte Kämpfe statt: klanghart, hämmernd, lärmend. In „Rasliw“ denkt Revolutionsführer Lenin über die Toten nach: mit Bläserchorälen, ergreifend gespielt. Von vibrierenden Spannungen und dumpfen Kanonenschlägen (Große Trommel) erfüllt, verkündet die „Aurora“ den Beginn des Umsturzes, dann verkündet die „Morgenröte der Menschheit“ Zukunftsvisionen. Dass dabei nicht das Plakative die Oberhand gewinnt, ist nicht hoch genug zu lobendes Verdienst des Dirigenten und seiner Musiker. Sie werden anhaltend gefeiert. Peter Buske
Peter Buske
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