Von Erhart Hohenstein: Mut zum Widerspruch
„Bürger machen Politik“ heißt das erste Heft einer neuen Reihe des Fördervereins Potsdam-Museum
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Es sind große Fußstapfen, in die der Förderverein des Potsdam-Museums mit seiner neuen „Schriftenreihe zur Stadt- und Kunstgeschichte Potsdams“ tritt. „Bürger machen Politik. 200 Jahre Stadtverordnete in Potsdam“ ist der Titel des soeben erschienenen ersten Heftes. Mit Unterbrechung bestimmte der 1862 gegründete Verein für die Geschichte Potsdams über viele Jahrzehnte die stadthistorischen Veröffentlichungen. Heute ist es die Studiengemeinschaft Sanssouci, die mit ihren „Mitteilungen“ diese Tradition auf hohem Niveau fortsetzt. Und nun auch der Förderverein des Potsdam-Museums.
Mehr als jährlich einmal wird auch der Museumsverein nicht publizieren können, sagt deren Vorsitzender Markus Wicke. Schon Thomas Wernickes Beitrag „Ich habe sie dann reingelassen“ rechtfertigt und adelt aber diesen Beginn. Der Autor, nach der Wende als Stadtverordneter Fraktionsvorsitzender des Neuen Forums, vermittelt darin einen Überblick über die Auflösung der Staatsicherheit 1989/90 im Bezirk Potsdam. Er verknüpft zentrale, regionale und lokale Ereignisse und reichert sie durch Augenzeugenberichte und Protokollauszüge an. Der gut strukturierte Beitrag gibt ein verlässliches Instrument in die Hand, diesen Ereignissen nachzugehen, sie einzuordnen und zu bewerten. Leider werden wichtige Informationen, so zu den handelnden Personen, in die Anmerkungen verbannt, die mit 119 für 28 Seiten Übersichtlichkeit und Lesevergnügen spürbar mindern. Den überdehnten Anmerkungsteil behält der Herausgeber auch für die anderen Beiträge bei, so für Silke Kamps Artikel „Zwischen Thron und Ballotage“ zur Wahl der ersten Potsdamer Stadtverordnetenversammlung vor 200 Jahren. Von dieser Formalität abgesehen, fordert Kamps Wertung der damaligen Vorgänge zur Diskussion, ja zum Widerspruch heraus.
Die 1809 eingeschränkt demokratisch gewählten Stadtverordnetenversammlungen gehen auf die Städtereform von 1808 zurück, die die preußischen Reformer durchgesetzt hatten. Deren Kopf Fürst Karl August von Hardenberg wollte damit „demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung“ verwirklichen. Die Formulierungen der Autorin lassen aber die Reformen einseitig als Versuch des Königs erscheinen, unliebsame finanzielle Belastungen auf die Bürgerschaft abzuwälzen. Zudem hätten sie allein zum Ziel gehabt, Preußen militärisch wieder konkurrenzfähig zu machen. Für die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung ist aus Silke Kamps Sicht nicht die Städtereform, sondern ein bereits 1806 gebildetes Bürgerkomitee der Ursprung, das damals die Lasten der napoleonischen Besetzung der Stadt schultern und gerecht verteilen sollte. Es bestand aus vier Mitgliedern und wurde dann um einige Personen erweitert. Folgt man dieser Argumentation, liegen die Ursprünge demokratischer Mitbestimmung in Potsdam allerdings bereits im 14. Jahrhundert, als die Bürgerschaft für den 1345 ersterwähnten, ebenfalls vierköpfigen Rat die Bestellung von Beisitzern erzwang. Die junge Potsdamer Historikerin schreibt, die Arbeiten ihrer auf diesem Feld forschenden Vorgänger Julius Haeckel und zu DDR-Zeiten Jürgen Koppatz könnten „wegen etlicher Ungenauigkeiten und Fehler nicht überzeugen“. Eine sehr gewagte Behauptung.
Ein weiterer Beitrag des Heftes beschäftigt sich mit dem katholischen Theologen, Historiker und Archivar Karl Heinrich Schäfer. Für die DDR bestand seine Bedeutung vor allem darin, dass er 1944 wegen des „Abhörens von Feindsendern“denunziert worden und im Januar 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen umgekommen war. Die Möbel seiner „Lützelburg“ genannten Villa in der Meistersingerstraße waren 2006 von Schäfers Tochter an das Potsdam-Museum übergeben worden, die schriftlichen Hinterlassenschaften an das Archiv der Kirchengemeinde St. Peter und Paul. Sie wurden von den jungen Historikern Benjamin Gallin und Peter Riedel aufgearbeitet.
Unkommentiert stellen die beiden Autoren dar, dass Schäfer für den politischen Katholizismus zunächst die Chance einer Beteiligung am Nationalsozialismus sah. 1932 führte er darüber ein Gespräch mit dem italienischen Diktator Benito Mussolini, für den er eine deutsche Abstammung nachzuweisen suchte. Die Autoren gehen auf lang bekannte Lebensstationen Schäfers relativ ausführlich ein, widmen seiner Schrift „Potsdams 1000-jährige Geschichte“ leider nur einen Nebensatz. Darin verlegte der im Reichsarchiv auf dem Brauhausberg angestellte Historiker die Ersterwähnung der Stadt von 993 auf 928/29 vor. Diese These wurde mittlerweile mehrfach als wissenschaftlich nicht haltbar zurückgewiesen.
Doch von Lob und Kritik für die Beiträge abgesehen, entscheidend für das Premierenheft ist, dass es überhaupt erscheinen konnte. Für Wicke und den Förderverein stellte die Herausgabe eine Kraftanstrengung dar, die durch eine finanzielle Förderung seitens „Kulturland Brandenburg“ zum Erfolg führen konnte. „In Potsdam könnte es vier solcher Schriftenreihen geben“, so Wicke. Gewiss werden die großzügigen Bedingungen von 1960 bis 1980 Jahren nicht wiederkehren, als der Rat des Bezirkes, allerdings gegen den Preis ideologischer Folgsamkeit, die „Veröffentlichungen des Bezirksmuseums“ finanzierte. Gemeinsam mit anderen Geschichtsvereinen sollten solche Veröffentlichungen dem Potsdam-Museum auf dem Weg ins neue Domizil Altes Rathaus entsprechende Bemühung wert sein.
Die Schriftenreihe ist für 9,90 Euro im Potsdam-Museum, Benkertstr. 3, und im „Internationalen Buch“, Brandenburger / Ecke Friedrich-Ebert-Str., erhältlich
Erhart Hohenstein
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