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Kultur: „Mutti hat mich anständig erzogen!“

„Meissners Sex Geschichten“ feierten auf dem Theaterschiff großen Erfolg

Stand:

„Ilse Bilse keiner will se, kam ein Koch, nahm se doch!“ Tatjana Meissner will aber keinen Koch, der sie „doch“ nimmt, erst recht keinen glattgeleckten Locken-Strullie. Sie will ’nen richtigen Mann, am besten so einen verruchten Rambo, „denn so sind wir Frauen ja!!! – nich, Karin?“ fragte die bekannte Kabarettistin am Wochenende ins Publikum hinein. Karin, Wolle und die anderen saßen als Ansprech-Opfer in der ersten Reihe, als sie ihr neues Solo-Programm „Meissners Sex Geschichten“ auf dem Theaterschiff präsentierte. Es ist gleichsam die Bühnenfassung zu ihrem Buch „finde-mich-sofort.de“, an dessen Discount-Präsentation man sich nicht gern erinnert. Damals war alles grob und direkt, vielleicht stand ja der Wunsch dahinter, auf potenzielle Fans zwanzig Jahre jünger und feuriger zu wirken.

An Direktheit ließ zwar auch die fast zweistündige „One-night-stand-up-Comedy“ nichts zu wünschen übrig, aber diesmal war alles ganz anders. Man hatte nämlich zwischen Stoff und Person einen Filter eingebaut: Kabarett von der Form her, Selbstironie vom Inhalt, Abstand also, den jede Bühne gerne befördert. Er machte nun auch die dollsten Stellen erträglich, verlieh dem Meissnerschen Sex-Geschichten Kraft, Niveau und viel Witz. Auf der Jagd nach einem Mann fürs Leben wurde nun eben nicht mehr die untere Gegend zuerst bedient, sondern der Kopf. Welch ein Segen, hier die Perspektive zu wechseln. Noch etwas war anders. Mit den wenigen Requisiten stand auch ein Bild von Tattis Mutti mit auf der Bühne. Ihre geistige Anwesenheit war ein gescheites Regulativ für überschäumende Träume und Triebe, denn „Mutti hat mich anständig erzogen!“ Nur manchmal, wenn es besonders schön war oder werden sollte, legte sie das Bild kurz zur Seite. Ein richtig gutes, feuriges und sehr professionell gemachtes Programm um die Eine, die im wahren Leben einfach keinen Mann findet, nicht mal auf einer „Gammelfleisch-Party“ P 40. Auch um „das Eine“, na klar. Da musste schließlich das Internet ran.

Im Wesentlichen folgt das Dreh- und Rollenbuch der literarischen Vorlage. Ein klasse Entree über die Unmöglichkeit, Männer und Frauen dauerhaft unter eine Decke zu bekommen, etliche, gekonnt dargebotene Songs mit witziger Contrafraktur, etwa „Mach mir den Tie’scher!“ Scharfe Sprüche und freche Witze überall mit Niveau eingestreut, das Publikum ununterbrochen angetörnt, da kochte es an Deck! Dieses Theaterschiff heißt ja nicht grundlos „Sturmvogel“. Vor allem blieb Ilse Bilse auch per Internet stets selbstironisch. Sie ließ mit Seufzen und Klagen keinerlei Zweifel daran, wie schwer und wie schlecht ihre Aussicht sei, jenseits der Vierzig doch noch einen abzubekommen, die Zellulite droht, das Bindegewebe wird schwach, und ob man von Krähenfüßen nicht gar Vogelgrippe bekommt, ist auch völlig unklar. Einer über Siebzig („Bin doch kein Wunderheiler“) kommt ihr trotzdem so wenig ins Haus wie ein Tagesabschlussgefährte, Mutti hatte sie ja „anständig erzogen“. Eingestreut zwischen Text und Songs waren vorgelesene oder gespielte Auszüge aus ihrem Buch. Das Kapitel über den Psychologen spielte sie ganz brillant als Groteske, der Cyber-Sex-Part mit einer drolligen Triefstimme aus den Untiefen des Off war einfach zum Brüllen. Der Abstand macht’s eben!

Weil sich aber bis zuletzt auch im Netz keiner für die liebe Tatti opfern wollte, drehte sie den Spieß einfach um: Ehe? Nein danke. Man weiß doch, dass sie keine Alternative ist ...Gerold Paul

Nächste Vorstellung: 7. 5., 19 Uhr

Gerold Paul

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