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Kultur: Mystisch-märchenhaft

In der Russischen Kolonie: Unbekannte Aspekte der Rocklyrik

Stand:

In der Russischen Kolonie: Unbekannte Aspekte der Rocklyrik Es hat etwas nicht ganz Alltägliches, als Zuschauer einem Vortrag mit live vorgetragener Rockmusik in einem ehemaligen Viehstall beizuwohnen. So geschehen bei Lutz und Anne Andres in der Russischen Kolonie Nr. 12. „Mystische Orte und Gestalten in der Rocklyrik“ standen auf dem Programm, ein durchaus neugierig stimmender Titel, dem ein kunstsinniges Publikum gefolgt war und sich nunmehr, zwischen Mistgabeln und Schlagzeug, Samowar und Fachwerk in heimeliger Runde zusammenfand. Die Protagonisten, der Musiker Eberhard Hasche, seit einem Jahr Professor für den Fachbereich Digitale Medien an der Fachhochschule Brandenburg, und Lutz Andres, als Musiker spezialisiert auf Gitarre und Gesang und den Potsdamern seit Jahren ein Begriff, wagten sich mit ihrem musikalisch-literarischen Vortrag auf sicherlich weitgehend unbekanntes Gebiet. Was die beiden im einzelnen unter den Begriff Rocklyrik fassen, wurde durch Eberhard Hasches erläutert, durch ausgesuchte Beispiele aus dem großen Spektrum der Rockmusik musikalisch zur Anschauung gebracht und am Ende des Abends zur Diskussion gestellt. Für die Präsentation der einzel-nen Songs ließen sich die beiden Sänger an Gitarre und Bass durch zuvor am Rechner einprogrammierte Schlagzeug- und Rhythmusein-spielungen klangvoll unterstützen. Von Prof. Hasche war zu erfahren, dass zahlreiche Songs aus dem Bereich der Rockmusik über weite Strecken von der Suche nach den sogenannten „herrlichen Plätzen“ handeln. Gemeint ist die sich dahinter verbergende Sehnsucht nach einem besseren Ort, einem Ort völliger Geborgenheit. Als ein Musterbeispiel dafür wurde von den beiden Musikern „Penny Lane“ der Beatles aus dem Jahr 1967 zu Gehör gebracht. Nicht nur mystisch, sondern zuweilen direkt märchenhaft geht es den Ausführungen Hasches zufolge in der Rocklyrik zu. Von Drachenkämpfern war in seinem Vortrag die Rede, von Engeln und anderen Lichtgestalten, vom Kampf zwischen Gut und Böse, von der alles überwinden-den Macht der Liebe und dem Verhältnis zwischen Innen- zur Außenwelt. Das Publikum lauschte dem viel gespielten R.E.M. Song „Losing my religion“, Eric Claptons „Tears in Heaven“, später sogar einem Chanson von Edith Piaf. Es waren durchweg melancholische bis sentimentale Songs, mit denen Hasche und Andres ihre Beobachtungen über die mystischen Orte und Gestalten in den Texten der Rockmusik musikalisch garnierten. Damit haben sie ihrem Publikum ohne Zweifel einen bis dato kaum beachteten Aspekt der Rockmusik erschlossen, der die gängigen Vorstellungen, ja Klischees von Rockmusik in gewisser Weise sogar konterkariert. Die Frage, was eigentlich die Rockmusik, und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch ausmacht, war denn auch der Ausgangspunkt der angeregten Diskussion, die sich dem eineinhalbstündigen Vortrag anschloss. Wobei allen Beteiligten schnell klar wurde, dass man sich an dieser Stelle auf ein schwierig zu fassendes Terrain begibt, für das erschöpfende Erklärungen, geschweige denn Definitionen nicht wirklich zur Verfügung stehen. Wenn zum Ende alle Mitwirkenden - Musiker wie Zuhörer - nicht nur mit fertigen Antworten, sondern mit vielen offen gebliebenen Fragen aus dem Abend hervorgingen, dann ist darin kein Mangel, sondern in Wahrheit ein Erfolg zu sehen. Erfolgreich deswegen, weil das gemeinsame Nachdenken über Rockmusik, welche von den beiden Vortragenden ausschließlich zugeschnitten auf das übergeordnete Thema mystischer Topoi in der Rocklyrik und damit nur als ein Bruchteil des tatsächlichen Gesamtspektrums präsentiert worden war, bereits während des Abends deutlich werden ließ, dass er nach einer Fortsetzung verlangt. Almut Andreae

Almut Andreae

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