Kultur: Mythische Stadt N. Y.
Alexander Osang stellte sein Buch „Lennon ist tot“ im Hans Otto Theater vor
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Nur wenige Schriftsteller können einen großen Theaterraum füllen. Und noch viel weniger Journalisten, wenn sie ihre Texte vorlesen wollen. Alexander Osang ist da eine Ausnahme. Für seine Kolumnen und Reportagen in der Berliner Zeitung und im Spiegel wird er geliebt und mit „die nachrichten“ hat er einen verfilmten Bestseller geschrieben. Mehrere hundert Zuhörer sind gekommen, um den dreimaligen Gewinner des Kisch-Preises im Hans Otto Theater (HOT) zu hören. Sieben Jahre lang lebte Osang mit seiner Familie in New York, wo er für den Spiegel als Reporter arbeitete. Im November kehrte er nach Berlin zurück.
Osang beginnt mit Kolumnen, die er „New York Affairs“ nennt. Und eine „leidenschaftliche Affäre“, hatte Osang mit der amerikanischen Metropole. New York war immer seine „mythische Stadt“, sagte er, die er sich aus Romanen und besonders aus Filmen rekonstruieren musste. Im Gespräch mit Anne-Sylvie König vom HOT schilderte er, warum es ihm leicht fiel, Berlin für eine Zeit zu verlassen. Die Stadt, mitten im Regierungsumzug, sei ihm „unfassbar auf die Nerven gegangen“. Grau, menschenleer und ständiger Regen. Gegenüber den neuen Kollegen, die eine ihm unbekannte, hippe Hauptstadt herbei schreiben wollten, wurde er zum „typischen Wegbeiß-Berliner“, der ihnen entgegen knurrte: „Hab ick allet schon geschrieben“. Die Offerte des Spiegels muss wie ein Traum gewirkt haben, der in Erfüllung geht.
Osangs kurze journalistische Arbeiten aus jener Traumstadt sind mit einem staunenden Blick geschrieben. Berlin, inklusive der eigenen Ostbiographie, schwingt als Kontrast immer mit. Wenn die Freunde daheim über einen heißen Sommer klagen, führt Osang lapidar auf, was wirkliche Hitze, wie sie nur in New York herrscht, bedeutet. Überall Klimaanlagen, die in Zügen und in Büros für permanenten Frost sorgen. Er warte auf den ersten Kältetoten: „Am Schreibtisch eingeschlafen“. Es ist dieser unverbaute Blick auf Nebensächliches, aus dem Osang mit ironischem Ton etwas Grundsätzliches und Wahres hervorzaubert, der den Saal in Heiterkeit versetzt. Ein so überdimensionierter Kühlschrank, dass Osang kurz überlegte, „dort einzuziehen“. Die Osangs haben sich akklimatisiert, in Super-Supermärkten Orangensaftgalonen und kiloweise Pinienkerne einkaufen gelernt (Ehefrau: „Kann man Pesto draus machen!“) und überlegen sogar, sich einen zusätzlich in den Keller zu stellen.
Der zweite Teil der Lesung galt Osangs zweitem, jüngst erschienenem Roman „Lennon ist tot“, dessen Handlung ebenfalls in und um New York angesiedelt ist. Osang schlüpfte dafür in die Rolle seines 19-jährigen Helden Robert Fischer, der in New York auf ein College gehen soll, stattdessen aber den Leser mit auf seine Sinnsuche nimmt, die ihn aus der Stadt auf eine merkwürdige Ferieninsel und ihrem Personal und am Ende zu sich selbst führt. Man kann dieses Buch auch als Osang-Kompendium verstehen, das verschlüsselt Gründe liefert, warum der Erfolgsjournalist nun wieder „mit Deutschland seinen Frieden gefunden hat", wie er später im Gespräch bemerkt. So, wie Robert spürt, dass das hochfliegende New-York-Gefühl schon nach drei Wochen nicht intensiver werden wird, so klingt auch Osang ernüchtert. Das Leben sei hart dort, die Stadt wäre entsetzlich teuer, Geld und Erfolg regierten. Osang fühlte sich dort immer einem Druck ausgesetzt, „eine Verpflichtung, etwas zu schaffen, irgendetwas nach Hause mitzubringen“. Während er sich früher lieber als Schwede gesehen habe, veränderte die Fremde sein Bild von seiner Nation. Eine Landschaft, die ihn an deutsche Mittelgebirge erinnerte, rührte ihn plötzlich. Er spürte die „typisch deutsche Melancholie“, und den „Hang zum deutschen Essen“. Hinzu käme, dass die Deutschen in New York wegen ihrer Haltung im Irak-Krieg, „gar nicht so ein schlechtes Image besitzen“. Osang ist in New York sichtbar smarter geworden. Zum mausgrauen, lässigen Anzug trägt er Chucks, die uramerikanischen Stoffturnschuhe, mit Söckchen. Mit Salingers „Fänger im Roggen“ will und kann sich das Buch nicht messen, aber so selbstbewusst, direkte Parallelen zum Vorbild zu ziehen, ist Osang schon. Er berlinert noch fein, aber die langen nasalen Vokale des Amerikanischen haben hörbar ihre Spuren hinterlassen. Ob man sich fürchten müsse, fragt eine Zuschauerin, dass sich New York durch den aktuellen Bauboom total verändere? Alexander Osang antwortet mit Berliner Witz und der Weltläufigkeit eines US-Heimkehrers: „Hier in Potsdam“, sagt er, „müssen sie sich nicht fürchten“.
Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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