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Neues Krump-Stück in der "fabrik": Nach den Regeln der Straße

Der Choreograf David Brandstätter bringt - zusammen mit seiner Kollegin Malgven Gerbes - den eher aggressiv anmutenden Krump mit zeitgenössischem Tanz zusammen. Zu erlebn ist das Ganze am Samstag in der "fabrik".

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Manchmal, das werden auch die Eloquentesten schon erlebt haben, ist ein Gefühl zu stark, um es in Worte zu fassen. Es rutscht dann scheinbar von der Kehle, die es formulieren könnte, ein Stück tiefer, in die Körpermitte. Die macht dann etwas anderes mit dem Gefühl. Bewegung vielleicht, im Idealfall Tanz. Der erzählt oft sehr viel expliziter von dem, was Worte manchmal nur andeuten können: Wut, Faszination, Liebe, Angst.

Krump etwa ist so ein Tanz, einer, der von der Straße kommt, und von denen, die nicht so schnell gehört werden. Der Stil entstand in den afro-amerikanischen Gemeinden von Los Angeles, heute wird er auch in den Banlieues, den Vororten von Paris, praktiziert. Klar, dass er deshalb auch mit einer Menge Klischees konfrontiert wird. Die Gewalt etwa, die er verkörpern soll, die Eitelkeiten, die es gerade im Hip-Hop zwischen den einzelnen Protagonisten gibt, die Angst, kopiert zu werden.

Mit alledem beschäftigt sich das Stück „Krump’n Break Release“ von David Brandstätter und Malgven Gerbes, das am morgigen Samstag im Rahmen von „Made in Potsdam“ in der „fabrik“ zu sehen sein wird. Brandstätter selbst kommt aus dem zeitgenössischen Tanz, mit Hip-Hop-Kultur und Streetdance hatte er bisher eigentlich weniger zu tun. Deshalb haben sich er und seine langjährige Arbeitskollegin Malgven Gerbes für einen eher dokumentarischen Ansatz entschieden. Ihm war es wichtig, die Leute auf der Bühne eben nicht vorzuführen, als das Andere, das Wilde, sondern Fragen an sie zu stellen und beantworten zu lassen. Auf der Bühne wird es deshalb auch Dialoge zwischen Tänzern geben, es werden Videosequenzen aus Interviews mit den französischen Krumpern gezeigt.

„Wir waren immer skeptisch, Urban Dance auf die Bühne zu bringen“, sagt Brandstätter, aber das Stück war eine Auftragsarbeit für ein Tanzfestival in Avignon. Dort hatten er und Malgven Gerbes, die zusammen unter dem Label „Shifts“ arbeiten, großen Erfolg mit ihrem Stück „Laptop“, das auch schon an der „fabrik“ entstanden war, eine fast meditative Arbeit, die kaum weiter weg von den fetten Bässen des Hip-Hops sein könnte. Das Problem, dass Brandstätter mit vielen Urban-Dance-Geschichten auf der Bühne hat, vergleicht er mit dem Unbehagen, das er früher als Punker mit Bands hatte, die dann in Fußballstadien aufgetreten sind. Aber er weiß auch: Man muss sich nicht selbst verraten, um auf eine Bühne zu gehen.

Deshalb wollte er die Klischees, mit denen der Krump oft konfrontiert wird, die Gewalt, die der Szene oft zugeschrieben wird, auch nicht zum Thema seines Stückes machen, das wäre ihm wie eine Rechtfertigung vorgekommen. Also beschränkten Malgven Gerbes und er sich auf ihre Rolle als Fremde in dieser Subkultur, Und so hat „Krump’n Break Release“ einen didaktischen Aufbau. Es geht ihm darum, zu zeigen: Das ist Krump, das Break, das sind die Tänzer, da kommen sie her – und das alles können sie zusammen anrichten. „Krump ist wie Pogo – das tanzt nicht jeder, man braucht schon eine gewisse Grundenergie dafür. Ob die nun aus Frust und Aggression entsteht oder aus etwas anderem, ist egal“, so Brandstätter.

Gelernt habe er dabei vor allem eine Menge über Tanz an sich: Sowohl im Krump als auch im Break hat jede Bewegung ihre eigene Bezeichnung. Das steht im völligen Gegensatz zum zeitgenössischen Tanz. Seit dem klassischen Ballett, wo ebenfalls jede Position ihren Namen hat, hat man sich davon gelöst. „Im Krump wird codifiziert, um einen Kulturstamm zu schaffen, etwas, das jeder lernen kann, Krump ist sehr inklusiv“, sagt Brandstätter. In der zeitgenössischen Kunst wie auch im Tanz geht es dagegen um Mythenbildung, um das Genie, das bizarre Eingebungen hat, die der Außenstehende dann deuten muss – „am besten noch mithilfe von Fachleuten“, so Brandstätter. Dort muss Eliten-Kultur bedient werden, im Urban Dance geht es eher darum, eine Bewegung aufzubauen, Leute mitzunehmen.

Brandstätter und auch Malgven Gerbes kommen aus dem zeitgenössischen Tanz, für den die sogenannte Contact Improvisation (CI) maßgeblich ist. Die entstand in den frühen 1970er-Jahren in New York, damals gab es in den USA heftige Bestrebungen, den Tanz komplett neu zu erfinden. Auch Release, eine weitere moderne Tanztechnik, entstand etwa zu dieser Zeit. „Auslöser für die Contact Improvisation war das Stück ,Magnesium’, bei dem sich die Tänzer gegenseitig ansprangen und ausloteten, was vor dem Hintergrund der Chaostheorie an Bewegungen möglich war, wie Körper in der Berührung miteinander reagieren“, sagt Brandstätter. Dabei spielte auch eine Rolle, wie sich Tanz durch die Erfahrung von Rock ’n’ Roll weiterentwickeln konnte, bei dem ja jeder allein mit seinen Gefühlen und nicht mehr innerhalb repräsentativer Strukturen tanzt. „Konzeptuell versucht aber auch der Krumper zu verkörpern, was ihn antreibt, trotzdem war es für die vier Krumper neu, miteinander zu agieren“, sagt Brandstätter. Er und Malgven Gerbes haben ihre Techniken, also CI und Release, mit Krump und Break verknüpft.

Brandstätter mag dabei geholfen haben, dass seine eigenen Wurzeln nicht im zeitgenössischen Tanz liegen: Er fing beim Zirkus an. Und das, obwohl er in Wuppertal geboren wurde, dem Ort, der durch Pina Bauschs Tanztheater wie kein Zweiter in Deutschland mit zeitgenössischem Tanz verknüpft ist. Brandstätter aber, der in Frankfurt aufwuchs, brauchte erst eine Freikarte für William Forsyths Tanz-Stück „Eidos Thelos“, um zu erkennen: „Das ist ja visuelle Musik, strukturiert und trotzdem wild.“ So etwas wollte er selbst gestalten und fing bald darauf an, Musikwissenschaften zu studieren – um Choreograf zu werden. Seine eigene Wut und Energie – er kommt politisch aus der linken Ecke, wie er sagt – nutzte er, als er anfing zu tanzen, dachte dabei an Demos, auf denen er war, drückte seinen inneren Kampf gegen alles aus. Eigentlich schlüssig, dass er irgendwann beim Krump landete.

„Krump’n Break Release“ ist am morgigen Samstag um 20 Uhr in der „fabrik“, Schiffbauergasse, zu sehen.

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