Kultur: Nach-Denker
Potsdam-Satire von Hassenpflug und Wicke
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Zeitung schreiben ist nicht alles. Im Rahmen einer „Sommerlesereihe“ des Bürgervereins „Potsdamer Innenstadt“ stellten am Donnerstag zwei Autoren ihre Texte zur geliebten-ungeliebten Landeshauptstadt vor, mit allem, was da so drum oder dran ist. Vierzehn Köpfe versammelten sich in der ehemaligen Galerie Samtleben zur literarisch-feuilletonistisch-satirischen Total-Anamnese, inbegriffen die Autoren Matthias Hassenpflug, freier Mitarbeiter der PNN, und Markus Wicke, manchem vom Online-Magazin „Potzdam“, aber den meisten wohl mehr als Vorsitzender des Fördervereins des Potsdam-Museums bekannt. Waren es nach zwei guten Stunden ein paar Köpfe mehr, so spricht das genauso für sich wie die eingeforderten Zugaben am Ende dieses langen Leseabends.
Zwei Nach-Denker, zwei Hand-Schriften aus den letzten fünf Jahren. Hassenpflug eher zurückhaltend, besinnlich, feuilletonistisch, Wicke ein Stürmer und Dränger, dessen Texte vor satirischem Geist fast explodierten. So wurde das im alternierendem Rhythmus auch vorgetragen. Viel Heiterkeit im Raum, obwohl im Hintergrund ein alter Schinken des Malers Heinz Böhm drohte: „Bebel spricht vor dem Reichstag!“
Im ersten Teil ging es mehr um die Wurst: um Gastronomie. Ganz im Sinne des Bürgervereins wurde der kulturelle Verfall der alten Weihnachtsmarkt-Idee auf dem „Broadway“ beklagt – Bratwurscht und Bier, Bier und Bratwurscht – was Matthias Hassenpflug auch für die Schlössernacht bestätigen konnte. Schön, wenn die „offiziellen“ Texte auch eine unterhaltsame „Zweitverwertung“ bekommen. Zu loben waren die besten Schrippen Potsdams bei Bäcker Braune, dem entgegen der gastronomische Fall des „Wiener Café“ steht. Verdutzt traf man dort plötzlich auf den burschikosen Ton von „Frau Str.“, den man bisher nur im „Heider“ genießen konnte. Genauso Schnee von gestern wie Markus Wickes Hiebe gegen Niemeyers Spaßbau oder das neue Theater? Von dem hält er künstlerisch bis heute nichts: „Das schlechteste einer Landeshauptstadt“.
So kam man von Potsdams „Wursthysterie“ ganz unauffällig zu Kunst und Kultur. Wicke, „seit 35 Jahren Altmärker, seit 15 Jahren Potsdamer“, mokierte sich dann über den bizarren Mützenkult auf Damenköpfen, indes Hassenpflug über seelische Beschwerden beim Besuch eines Kabaretts klagte. Liebevoll indes wurde die Chefin eines Tante-Emma-Ladens porträtiert. Tolle Dramaturgie: Von der Wurst zur Kultur bis hin zur Alltagskultur! Kein Mangel an stadtgewollter Bezüglichkeit, es gab aber auch persönliche Töne. Matthias Hassenpflug erzählte von leichtsinnigen Brückensprüngen in die Havel, vom Leben vor den PNN. Markus Wicke kam sich vor wie 12, als er eine Einbahnstraße falsch befuhr. Stramm stand er vor dem Polizisten und ließ sich maßregeln.
Eine lange Reihe kürzerer Sachen, unterhaltsam, nachdenklich, spitz. Fortsetzung also erwünscht! Gerold Paul
Gerold Paul
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