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Kultur: Nach vorne geschrammelte Leidenschaft Postmoderner Punk: NMFarner im Waschhaus

Die Musik von NMFarner ist wie geschaffen für ein Live-Konzert. Ein Schlagzeug-Beat, der nach vorne und nur nach vorne geht, drängelnde Gitarren, ein pumpender Bass und sich überschlagende Gesangslinien, die mehr geschrien als wirklich gesungen werden.

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Die Musik von NMFarner ist wie geschaffen für ein Live-Konzert. Ein Schlagzeug-Beat, der nach vorne und nur nach vorne geht, drängelnde Gitarren, ein pumpender Bass und sich überschlagende Gesangslinien, die mehr geschrien als wirklich gesungen werden. Dazu mal deutsche, mal englische Texte, die jeder semantischen Einheit entbehren, aber prima mitgesungen oder auf T-Shirts gedruckt werden können. Postmoderner Punk made in Berlin eben. Und man hat sie schon vor dem Konzert vor Augen: die bis in den Morgen tanzenden Körper und schwitzenden Leiber.

Mit derartiger Vorfreude geht man zum Konzert, um feststellen zu müssen, dass es genau an einer Ingredienz fehlt: dem Publikum. Nur etwa zwei Dutzend Leute verstecken sich zu Beginn des Konzertes in der Dunkelheit. Wie Tiere im Unterholz stehen sie im hinteren Teil des Waschhaus-Saales, während der sich ausbreitenden Leere mit Trockennebel Einhalt geboten wird. NMFarner nehmen es mit Humor, sprechen immer wieder mit ironischem Unterton von einem „unvergesslichen Konzert“. Als sich das Publikum nach einigen Songs, darunter die Hymne „Sehr gut“, immer noch nicht vortraut, müssen Anweisungen her: „Jetzt kommt doch mal ran!“, fordert Sänger Norman Nitzsche. Und die Leute kommen ran.

Es dauert eine Weile bis der Sound sich von breiigem, schwer differenzierbarem Krach in Musik verwandelt hat. Und dann wird auch das Publikum langsam locker. Nitzsche albert mit drei angetrunkenen Mädchen vor der Bühne herum und verbockt auch schon mal einen Einsatz im Flirt. Von schwitzenden Leibern keine Spur, aber immerhin ist die unangenehme Verkrampftheit der ersten Minuten weg.

Eine Stunde lang schmettern Nitzsche und Schlagzeuger Chrigel Farner, der auch hin und wieder den Gesang übernimmt, ihre abgehackten, sich ewig wiederholenden Satzfetzen ins Waschhaus. Dazu schringeln sich die Gitarren durch zwei, im Höchstfall drei Akkorde und wenn Masha Qrella den Synthesizer unter ihrer Hand quäken lässt, tanzt das Trommelfell im Ohr einen Veitstanz. Das Trio hat sich live noch einen weiteren Gitarristen (Percussionisten, Krachmacher) dazugeholt, der sein übriges dazu beiträgt mit geschrubbten Akkorden die Soundwand zu verstärken. Geschrammelte Leidenschaft, die den Gehörgang freispült wie ein Rohrreiniger.

Paradoxerweise verabschieden sich NMFarner mit ihrem Song „Wir“, in dem sie über eine röhrende Basslinie, Punkgitarren und scheppernden Schlagzeug Dutzende Male verkünden: „Wir sind hier“. Ein unpassender Abschluss, findet auch das Publikum und reicht ein spontanes, musikalisches Bürgerbegehren ein: „Einer geht noch, einer geht noch rein!“. Die vier lassen sich nicht lange bitte und setzen nicht nur einen, sondern noch drei Songs drauf. Geradezu übermütig werfen sie sich noch einmal ins Zeug: die Gitarre wird mit dem Shaker bearbeitet, Norman Nitzsches Stimme schlägt Purzelbäume und Masha Qrella vertreibt mit ihren Synthie-Sounds die letzten bösen Geister. Christoph Henkel

Christoph Henkel

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