Kultur: „Nacht und Lichter, da ist ein ganzer Kosmos“
Sein Debüt wurde hoch gelobt, für „Die Nacht, die Lichter“ erhielt er den Leipziger Buchpreis – heute liest Clemens Meyer in Potsdam
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Ihr aktueller Erzählband trägt den Titel „Die Nacht, die Lichter“. Auf den letzten Seiten Ihres Debütromans „Als wir träumten“ erzählt Fred, was für ihn den Reiz beim Autoknacken ausmacht. Er sagt: „Das ist wie im Film, verstehste! Du bists, du bist die Nummer eins, die Nummer eins, versteht ihr! Du bists. Und dann die Nacht. Und die Lichter.“ Diese Wiederholung ist doch sicher kein Zufall?
Nein, aber auch keine bewusste Überschneidung. Mir ist das erst wieder aufgefallen, als ich die dramatisierte Form von „Als wir träumten“ auf der Bühne im Berliner Maxi Gorki Theater erlebt habe. Da habe ich gedacht: Moment mal. Als ich „Als wir träumten“ schrieb, hat mir schon diese prosaische Wortgruppe Nacht und Lichter, nur durch ein Komma getrennt, sehr gefallen.
Warum?
In diesen zwei ganz einfachen Wörtern steckt ein ganzer Kosmos drin.
Ein Kosmos, der beide Bücher überspannt. Kann der Erzählband „Die Nacht, die Lichter“ dann als eine Art Fortsetzung Ihres Debütromans gelesen werden?
Das würde ich nicht so sehen. Das sind 15 Geschichten mit den unterschiedlichsten Personen. Aber es tauchen natürlich Motive wieder auf, die aus „Als wir träumten“ bekannt sind. Aber jeder Schriftsteller hat seine Themen, mit denen er sich sein ganz Leben beschäftigen kann.
Sie haben gesagt, dass Sie Geschichten schreiben wollen, die leuchten. Was in ihrem Roman „Als wir träumten“ und noch stärker in „Die Lichter, die Nacht“ leuchtet, ist vor allem der Abgrund.
Nachtgestalten auf der Suche nach dem Licht oder was auch immer, ist ein Thema, das mich beschäftigt. Unglück und Abgründe gehören in diese Welt. Ich will meine Geschichten als Tragödie, als ein Drama erzählen. Ein solches dramatisches Potenzial ist dann gegeben, wenn die Leute mit dem Rücken zur Wand stehen. Diese Geschichten müssen dann mit einer solchen Wucht und Emotionalität wirken, so dass sie leuchten.
Sind nur dramatische Geschichten die überzeugendsten?
Das muss nicht ausschließlich so sein. Die Literatur lebt von einem breiten Spektrum. Für mich ist das gerade ein Thema. Aber ich verstehe das nicht als Beschränkung oder Festlegung. Wenn ich mich mit Menschen beschäftige, die am Rande stehen und denen es nicht gut geht, beinhaltet das eine Vielfalt von Schicksalen. In „Die Nacht, die Lichter“ erzähle ich auch von einem Lehrer, einem Maler und einem Weinvertreter. Mir geht es nicht um Milieus, sondern um gute Geschichten.
Gute Geschichten, die es dem Leser nicht immer leicht machen. Manche können Ihre Bücher nicht weiterlesen, weil sie die Hoffnungslosigkeit nicht ertragen.
Was soll das denn! Wie lange gibt es denn schon Shakespeare oder die Bibel? Mir kann doch keiner erzählen, dass Literatur Ringelpietz mit Anfassen ist. Wer so denkt, soll Rosamunde Pilcher lesen. Außerdem stimmt es nicht, dass es in meinen Geschichten keine Hoffnung gibt.
Manche verwechseln schonungslose Ehrlichkeit schnell mit Hoffnungslosigkeit. Aber manchmal will man beim Lesen Mitleid mit Ihren Figuren empfinden.
Nein, Mitleid wäre falsch. Mitleid bedeutet immer, dass man von oben herab schaut. Im Gegenteil, man soll ruhig mit ihnen leiden und fiebern. Denn eines behalten meine Figuren trotz ihres Scheiterns immer: Ihre Würde.
Als ihr Debüt erschien, wurde es hoch gelobt. Gleichzeitig war das Interesse auch an Ihnen sehr groß. Da wurden mit Vorliebe Bilder gedruckt, auf denen Ihre Tätowierungen besonders zu Geltung kamen...
Ja, mein Gott, darf ich denn im Sommer nicht kurzärmlig rumlaufen?
Auch über ihr Vorstrafenregister wurde spekuliert und wie viel aus „Als wir träumten“ auf persönliche Erfahrung zurückgeht. Ein wenig haben Sie das aber auch provoziert mit Aussagen wie: „Ich hab mir gesagt: Wenn du jetzt mal ''n bisschen in der Gosse rumkrebst, kannst du trotzdem ein guter Schriftsteller werden“.
Manchmal übertreibt man mit dem, was man erzählt. Ich musste nie in der Gosse rumkrebsen, das war pauschalisiert. Bei Lesungen heißt es oft über meine Figuren, ach, diese armen Menschen. Das Leben ist voller Geheimnisse und manchmal glaube ich, wenn jemand mehrere Jahre im Knast sitzt und mit vielen, auch abgründigen und gefallenen Menschen zusammenkommt, ist der näher dran, diese Geheimnisse zu entschlüsseln als jemand, der den ganzen Tag in der Bank arbeitet.
Klingt das nicht ein wenig verklärend?
Nein, finde ich nicht. Außerdem bin ich kein Moralist. Es wird immer Menschen geben, die am Abgrund oder am Rand der Gesellschaft leben.
Sind Sie auch als Schriftsteller gegenüber ihren Figuren kein Moralist?
Ich versuche ihnen auf Augenhöhe gegenüber zu stehen. Natürlich habe ich Sympathie für sie und hasse sie gleichzeitig. Man darf sie nie denunzieren. Aber ich denke darüber nicht viel nach, ich schreibe einfach. Wenn man andauernd versucht, sein eigenes Tun als Schriftsteller zu analysieren, steht man ganz schnell vor einem Scherbenhaufen.
Sie haben zuerst einen Roman veröffentlicht, danach Kurzgeschichten. Üblich ist eigentlich der umgekehrte Weg, dass man sich erst auf der Kurzstrecke übt, bevor man auf die Langdistanz wechselt?
Ich musste zuerst „Als wir träumten“ schreiben. Der Stoff war da und ich habe sechs Jahre an dem Buch gearbeitet. Die Erzählungen in „Die Nacht, die Lichter“ habe ich in nicht einmal zwei Jahren geschrieben. Beides hat sehr viel Kraft gekostet. Das muss auch der Leser spüren, dass der Schriftsteller wirklich alles gegeben hat. Und dass er dieses Buch einfach schreiben musste, auch wenn das jetzt komisch klingt.
Sie haben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert. Kann man Schreiben lernen?
Nein, das glaube ich nicht. Man kann Talent und ein Gespür für Sprache ausbilden und lernen, wie wichtig jedes einzelne Wort in einem Satz ist. Am Institut haben wir die eigenen Texte besprochen. Dabei kann man lernen, ob eine Geschichte überhaupt funktioniert, ob das Timing, der Stil stimmen. Aber ich bin auch nicht zu jedem Seminar gerannt. Das Wichtigste spielt sich zu Hause ab, wenn man allein am Schreibtisch sitzt. Nur dort entscheidet sich ob das, was man schreibt, auch zu guter Literatur wird.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Clemens Meyer liest heute neben Jenny Erpenbeck und Michael Kumpfmüller bei der 2. Bibliotheksnacht der Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47. Beginn ist 18 Uhr, der Eintritt kostet 7, ermäßigt 4 Euro.
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