Kultur: Nackte Verwirrung
In der Ausstellung „Ton in Ton“ der Galerie Herr sorgen nicht nur die Werktitel für Irritationen
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Hübsch ist das Schaufenster dekoriert: zwei dicke, niedliche Tonfiguren in blauen Badeanzügen sitzen auf einer Insel aus Sand, umgeben von weißen Kieselsteinen. Ein kahler, knotiger Ast im Hintergrund rundet die beschauliche Szenerie ab und verleiht ihr zugleich etwas Herbstliches. Nur ein Detail will nicht so recht in das Ambiente passen: Beiden Tonfrauen fällt jeweils eine Brust aus dem Dekolleté. Das hier ist eben doch keine Dekoration. Das ist Kunst.
„Jumeaux sur la plage“, „Zwillinge am Strand“, nannte Christine Hannemann ihre beiden Tonfrauen, die derzeit in der Ausstellung „Ton in Ton“ in der „Galerie Herr. die Neuen“ zu sehen sind. So irreführend wie die Präsentation des Werks im Schaufenster der Galerie ist also auch seine Betitelung. Zwar bezeichnet das französische Wort „jumeaux“ durchaus Zwillinge – passen würde das allerdings nur zu einem männlichen Geschwisterpaar. Weibliche Zwillinge dagegen heißen normalerweise „jumelles“. Haben wir es hier mit subversiver Kunst zu tun? Mit einer Kritik an der bipolaren Geschlechterwelt? Oder unterlief bei der Betitelung lediglich ein Versehen? Dass Hannemann sich in ihren Arbeiten mit dem weiblichen Körper auseinandersetzt, ist kaum zu übersehen. Nackt räkelt sich die sexy Charlotte auf ihrer Basis aus Ton, anderswo schnattern zwei voluminöse ältere Damen in Hut und Kleid auf einer Bank. Einige Figuren präsentieren vor ihrem Körper ein Schild mit der eingeritzten Inschrift „Je t’aime“ – „Ich liebe dich“. Daneben aber gibt es andere fehlerhafte französische Betitelungen in der Galerie Herr – das Geschlecht der Dargestellten wird aber nicht erneut infrage gestellt.
Christine Hannemann, die unter anderem Doktor der Psychologie ist, verweist mit ihren recht einfachen Tonarbeiten klar auf therapeutische Aspekte von Kunstproduktion. Ihr Pseudonym „Maison Bleue“ – „Blaues Haus“ – soll sie selbst an geliebte Orte wie das Meer und ihr blaues Atelier erinnern. Andererseits rekurriert das Material ihrer Werke aber auch auf Ursprünglichkeit – denn schließlich ist das Herstellen von Tonware die älteste heute bekannte Handwerkskunst, die eng mit der Entstehung der menschlichen Kultur verknüpft ist.
Hier findet sich der Anknüpfungspunkt mit den abstrakten Gemälden des Galeristen Holger Herr, die ebenfalls Teil der Ausstellung sind. In der Serie „Gezeiten“ malt er sich windende, an den Enden spitz zulaufende Formen, die, wie er sagt, das urchristliche Symbol des Fisches aufgreifen sollen: „Denn der Fisch bedeutet Wasser, und Wasser bedeutet Leben.“ Von dieser geometrischen Form ausgehend integriert er Nägel oder kleine Kugeln in seine Gemälde, die er zuvor mit metallisch schimmernden Lackfarben bemalt hat. Auch wenn die Kugeln von Besuchern zunächst oft mit Weihnachtskugeln assoziiert würden – nach einer kleinen Erklärung kämen sie meist selbst drauf, dass die Nägel „das Böse“ und die schönen, goldenen und bronzefarbenen Kugeln „das Gute“ symbolisieren sollten. Um die Besucher bei ihrer Suche nach der Bedeutung nicht unnötig zu hemmen, stellt er seine Arbeiten unter dem Pseudonym REH aus. In Zukunft möchte er sich gar nicht mehr als Künstler, sondern nur noch als Galerist zu erkennen geben. Im Pressetext spricht er denn auch gleich von sich selbst in der dritten Person und sagt über REH, seine Bildinstallationen seien „feinfühlig, farbig kraftgeladen und beachtenswert“.
Einen musikalischen Beitrag zur Ausstellung soll dann Ruben liefern – Aufführungstermine stehen aber noch nicht fest. Schön wäre es, wenn wenigstens die erfahrene Potsdamer Band um den Sänger Ruben Wittchow für etwas Professionalität in der Galerie sorgt.
Die Ausstellung ist bis Mitte November in der „Galerie Herr. die Neuen“, Karl-Liebknecht-Straße 121, montags bis mittwochs 10-18 Uhr, donnerstags und freitags, 15-18 Uhr und samstags 10-13 Uhr geöffnet
Linda Huke
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