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Kultur: Nah und fern

Ungarn im Kulturforum östliches Europa

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Irgendwie bekommt man sie doch nicht aus dem Kopf, die gewohnten Bilder vom wehmutsvollen aber wilden Geiger, von sich im Csárdás drehenden Frauen und vom Ziehbrunnen mitten im Dorf. Und das obwohl beim Konzert der „Transsylvanians“ die gängigen Klischees von Ungarn direkt mit der eigenen Dekonstruktion konfrontiert wurden. Einerseits setzt die in Berlin ansässige Band unverhohlen auf Folklore, geigte Frontmann András Tiborcz sich und das Publikum am Freitagabend im Waschhaus regelrecht in Rage, ließ die zierliche Kontrabassistin Isabel Nagy den Saal um ihr kolossales Instrument tanzen. Doch der folkloristische Bogenstrich erfuhr zugleich seine eigene Zerstörung: Mal eine Brise Punkrock, mal ein bisschen Rap, dann wieder unverkennbar Ska-Einflüsse ließen dem Kitsch keine Chance. Das Vorbild für den lächelnden Umgang mit dem musikalischen Klischee zwischen Csárdás und „Zigeunermusik“ bleibt nicht ungenannt: Bela Bartók. Bereits er bediente sich den schönen Seiten des ungarischen musikalischen Klischees, ohne ihm dabei zu verfallen.

Es hätte also kaum einen passenderen Auftakt geben können zur vom Potsdamer Deutschen Kulturforum östliches Europa ausgerichteten Veranstaltungsreihe, die zeigen wollte, dass Ungarn mehr ist als „Puszta, Paprika und Piroschka“. Dass es zu dieser eingeschränkten Sicht auf das „indirekte Nachbarland“ kommen konnte, ist erstaunlich. Denn die Geschichte stellte immer wieder den direkten Kontakt zwischen den beiden Ländern her. Nicht nur die Einwanderung von Deutschen nach Ungarn über Jahrhunderte hinweg, auch der gemeinsam erlittene Verlust großer Teile des Staatsgebiets nach dem Ersten Weltkrieg und die Folgen der Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland nach 1945, bilden solche Berührungspunkte. Als die Ungarn 1954 in Bern unfreiwillig wenigstens auf dem Fußballrasen die Deutschen wieder wen werden ließen, dass während der deutsch-deutschen Teilung der Balaton jener Punkt war, an dem sich – wenigstens theoretisch – Ost- und Westdeutsche begegnen konnten, ließe sich ebenso anführen, wie der Umstand, dass es 1989 die Ungarn waren, die durch das symbolische Öffnen des Eisernen Vorhangs die friedliche Revolution in der DDR ermöglichten.

Ein weiterer gemeinsamer Punkt ist die Geschichte der Juden in beiden Ländern, wie der Schriftsteller György Dalos dann im Alten Rathaus darlegte. Dalos beschrieb zudem, wie die 1000-jährige Beziehungsgeschichte von deutscher Seite stets vom Balanceakt zwischen dem Wunsch, ein Vorbild an westlicher Zivilisation zu sein, aber auch der Sehnsucht nach unberührter Wildheit, die man hier zu finden hoffte, geprägt war. Hilfreich für eine derartige Projektion war dabei nicht nur die außergewöhnliche Landschaft Puszta, sondern auch die ursprünglich außereuropäische Herkunft der Ungarn und ihrer Sprache. Dass abwertende Urteile mitunter am Ende positive Reaktionen hervorrufen können, verdeutlichte der Germanist András Balogh (Budapest). Er erläuterte, wie etwa die Prognose Johann Gottfried Herders, die ungarische Sprache werde bald aussterben, eine Spracherneuerung provozierte, die das Ungarische erst zu einer Literatursprache werden ließ. Dass dies dann wegen der „fehlenden Rückkopplung“ der deutschen Kultur zu deren zunehmenden Verdrängen aus dem ungarischen Kulturkreis führte, gehört in die tragische Geschichte der jungen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts.

Mehr noch als Musik, Malerei und Literatur, hat das Bild Ungarns jedoch der Film geprägt. Wie die Berliner Filmwissenschaftlerin Réka Gulyás erläuterte, war es kein Zufall, dass mit „Melodie des Herzens“ der erste abendfüllende deutsche Tonfilm im Land der Magyaren angesiedelt ist. Nun verbanden sich zumindest Bilder und Musik, um die Klischees von Geigern und Ziehbrunnen zu transportieren. Moritz Reininghaus

Moritz Reininghaus

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