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Kultur: „Nation ist ein Gefühl“

Matthias Matussek im Stern-Center

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Kaum ein deutscher Journalist sorgt immer wieder für so viel Aufsehen wie Matthias Matussek – sei es mit Reportagen über die Wendezeit aus dem Berliner Palasthotel, lautstarkem Engagement für Scheidungsväter oder jetzt mit einem Plädoyer für deutschen Patriotismus. Der derzeitige Kulturchef des „Spiegel“ besitzt einen begnadeten Riecher für die unterschiedlichen Gespenster der Zeit, die er auch immer wieder kräftig in Szene setzt. Bekannt für sein Temperament und seine Subjektivität, ein gewiefter Kenner der Medien und ihrer Macher, schont dabei weder sich selbst noch seine Feinde.

Matusseks Bestseller „Wir Deutschen – Warum uns die anderen gern haben können“ will Gründe für ein neues deutsches Gemeinschaftsgefühl liefern. Das Interesse daran war bei der Lesung am Mittwochabend im Stern-Center begrenzt. Nur rund zwanzig Zuhörer waren gekommen, um sich im Konsumtempel der Kultur zu widmen.

Christine Eichel, Kulturredakteurin der Zeitschrift Cicero, begrüßte den groß gewachsenen Zweiundfünzigjährigen mit schmeichelhaften Worten. Was Frau Eichel „prophetisch“ nannte – die Publikation des Buches rechtzeitig zur Fußballweltmeisterschaft – würden Marketingprofis als gelungene Werbestrategie bezeichnen. Matussek selber sagt in aller Bescheidenheit: „Ich bin von der Entwicklung eingeholt worden.“

Einige Bemerkungen der englischen Schriftstellerin Antonia S. Byatt, deren „plumpe, beringte Hand“ Herrn Matussek offensichtlich abgestoßen hatte, dienten als Aufhänger für einen kleinen Exkurs über deutsche Kultur, der jedoch nicht über das Wissen eines Durchschnitts-Abiturienten hinausgeht. Die folgende Eloge auf das „Idol und Vorbild“ Heinrich Heine, den „deutschesten Deutschen und kosmopolitischsten Weltbürger“ schloss eine kleine Textanalyse ein: „Heine beginnt seine Texte mit einem schmachtenden Klischee und endet mit einer Pointe.“ Außerdem habe Heine als „Star und Großverdiener“, der mit den Mächtigen verkehrte, die „ideale Position eines Intellektuellen“ eingenommen.

Nach einigen wohlgesetzten Sottisen gegen alte Konkurrenz – das Feuilleton der „Zeit“ – und eine seiner Hassfiguren – Joschka Fischer –, wird der Tonfall sentimental: wie die fünf Matussek-Söhne bei der goldenen Hochzeit der Eltern vor Stolz heulten, über die ewige rote Strickjacke des Vaters und dessen erbauliche Reden von Lenin bis zu Augustinus. Beinah wie eine Predigt klingt es, als Matthias Matussek die Sehnsucht des Menschen nach „etwas Höherem, nach Transzendenz“ beschwört. An dieser Stelle vermittelt Frau Eichel mit ihren Fragen nach kultureller Identität und dem Heimatbegriff schnell wieder Bodenhaftung. „Deutsche Kultur“ und „deutsche Sprache“, „Schwarzbrot und Thüringer Wurst“, „Feiern und Feste“ brächten dieses Phänomen hervor. Im Wesentlichen sei Nation ein „Gefühl“ argumentiert Herr Matussek mit dem katholisch-romantischen Philosophen Ernest Renan.

Ein Wohlgefühl bereitete Matussek die Fußballweltmeisterschaft: „Zuerst sah unsere Wohnung mit den vielen Fahnen aus wie die UNO, am Ende dann wie das Hambacher Fest.“ Es blieb nur noch Schwarz-Rot-Gold – wie Matusseks Schlips. Das war den Zuhörern allerdings zu wenig. Welche realen Zukunftsperspektiven es denn gebe, wollte jemand wissen. Immerhin hätten wir den MP3-Player erfunden und wären immer noch das Land mit den meisten angemeldeten Patenten, kontert Matussek und endet mit einem Erbauungsbild innigster Wiedervereinigung. Gemeinsam mit seiner aus der DDR stammenden Frau stellt er ein gesamtdeutsches Alphabet aus West- und Ostwörtern auf und feiert so die eigene (Wieder-)Vereinigung wie es rührender kaum geht. Manch einer könnte da schon fragen, ob hier nicht ein schlichtes, „schmachtendes Klischee“ am Ende steht – anstelle einer provozierenden Pointe wie einst bei Heinrich Heine. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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