Kultur: „Nehmen Sie ruhig – bitte!“
Rita Feldmeier spielt Drogen-Stück von Kai Hensel
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Rita Feldmeier spielt Drogen-Stück von Kai Hensel Wie sagte doch der große Friedrich Meier, jüngst erst gehört? „Man ist in der Welt nur glücklich, wenn man sich beschäftigt“. Als thronender Denker passt er somit gut zu dem philosophischen Selbstmörder Seneca, welchen die gelangweilte, weil unbeschäftigte Hausfrau Hanna immer wieder zitiert, Mutter eines blassbrüstigen Sohnes und Gattin des ungeschickt joggenden Alu-Ingenieurs Stephan. Sie verkörpert in Kai Hensels leicht polemischem Einpersonenstück „Welche Droge passt zu mir“ den durch soziologische Wissenschaften verbeutelten, von der Politik ideologisierten „Archetypus“ eines inzwischen verkommenden Mittelstandes (weibliche Linie), vor wenigen Jahrzehnten noch die Stütze der Gesellschaft. Als mobile Aufführung konzipiert, erlebte das 90-Minuten-Stück am Donnerstag seine äußerst erfolgreiche Premiere in der Villa Kellermann: Ganze sieben Vorhänge für die brillante Charakter-Darstellerin Rita Feldmeier - Ehre, wem Ehre gebührt! Freilich unterstellt das Stück in der Manier akademischer Thesen nicht nur einen zwanghaft-feministischen Zusammenhang von „Hausfrauen-Illegalität“ und Drogensucht. Roswitha Soltau behauptet im Flyer sogar, „dass das, was Frauen zu Frauen werden lässt“, auch weibliche Suchtabhängigkeit bewirke. Na ja, so viel war davon in Rita Feldmeiers sehr intensiver Darstellung zum Glück nicht zu finden. Sie selbst schloss mit einiger Heimlichkeit den Vorhang hinter den 70 Besuchern im Zimmer mit Seeblick, vorn (Bühne Marek Hertel) stand ein Tisch mit Geräten, wie man sie zur Präparation von Drogen gebraucht, dann noch ein Sessel. Mit leiser Stimme und weitgeöffneten Augen in Blau - die Bewegungen langsam – begann sie ihre „Vorstellung“ jeder nur denkbaren Droge, die sie bei einem IQ von 126 mit Formel, Wirkung und Nebenwirkung allesamt kannte. Der Berliner Autor nannte seinen Text ausdrücklich „Einführung“ in die Drogerei, das durfte man fast wörtlich nehmen. Petra Luisa Meyer, mit obigem Meier unverwandt, inszenierte ein atemnehmendes Psychodrama dieser suchtabhängigen, weil tief unglücklichen Frau nach Art eines intensiven Kammerstücks, worin sich Wahn und Wahrheit treffen, Selbstmitleid und tiefste Scham, Schlaffheit und Kraft. Von einem Handwerkslehrling in die Welt von LDS und Kokain, Hasch und Speed eingeführt, vollzieht Hanna Trip um Trip, die Feldmeier indes eine schaudern lassende Gratwanderung zwischen Traum und Wirklichkeit, an jeweils einer Droge exemplifiziert. „Verkostung“ durch den Zuschauer inklusive: „Nehmen Sie ruhig – bitte!“ Da waren tausend Gesichter des Wahns und der Schönheit, Gefühle sämtlicher Art bis zum Hass auf den hilfebedürftigen Sohn, eine vom ahnungslosen Gatten gewollte Schwangerschaft, welche Hanna durch Drogen abtreiben will; Ein- und Ausstiege aus der Rolle, ironische Distanz zu sich selbst, Lakonie, wie es die Aktrice immer schon hielt, dazu viel Kontakt zum Publikum in vorzüglicher Sprache. Es wird die Regie interessiert haben, wann und warum so erstaunlich viel Heiterkeit im Parkette war. Letztlich sah man eine subversive Apologie auf den kontrollierten, legalen Drogengebrauch in gut inszeniertem Rhythmus, hörte erstaunliche Rechtfertigungen: „Soll ich weiter Mineralwasser trinken, alles richtig machen und das Leben zieht an mir vorbei?“ oder mit Seneca: „Tugend lernen heißt Fehler verlernen“ - nur muss man sie erst mal gemacht haben. So spricht eine unbeschäftigte Hanna, nicht alle. Damit ist auch die Ausrichtung des halbgewalkten, aber gut gespielten Textes klar: Hier das soziologisierte „Hausfrauen-Syndrom“, da Legalisierung von Koks & Co., wie beim Nachbarn Holland. Hensels szenisches Plädoyer ist eine Einladung, sich in der täglich selbstbetäubenden Suchtgesellschaft koksend einzurichten. Beschäftigung a là Meier wäre sicherlich besser. Gerold Paul Nächste Vorstellung: 31. Januar 19.30 Uhr
Gerold Paul
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