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Genial und verstörend: „Concord Floral“

© Thomas M. Jauk

Nehmt das, Boomer!: „Concord Floral“ im HOT

Das Jugendtheaterstück vergrausamt den Generationsbruch als zombieskes Mysterydrama. Genial und verstörend.

Von Oliver Köhler

Am Ende hockt er nackt da, völlig entblößt und erstarrt. Viel bleibt Just Joey (Fabian Hanis) nicht mehr, nachdem er in die Falle getappt ist, ausgestoßen, beschämt, so gut wie tot. Aber eigentlich hätte es jeden erwischen können, auf dem Weg vom Zombie zum endgültig Toten. Und – Achtung, Spoiler! – in der nächsten Vorstellung wird jemand anderes das Mobbing-Opfer werden.

Grundlage ist Boccaccios „Dekameron“

Am vergangenen Freitagabend hatte das durchaus berechtigt als kontrovers angekündigte Stück „Concord Floral“ im Potsdamer Hans Otto Theater Premiere. Grundlage für dieses Stück ist Boccaccios „Dekameron“, in dem zehn Jugendliche vor der grassierenden Pest in Florenz in ein Landhaus am Stadtrand flüchten – die Novellensammlung aus dem 14. Jahrhundert wird kurzerhand ins Hic et Nunc einer passiven Generation gehievt, die ihre Umwelt nur noch im Display des iPhones wahrnimmt.

Koproduktion von HOT

Und fast wäre die Koproduktion von HOT und Filmuni geplatzt, weil Schauspielerin Luca Estelle Horvath kurze Zeit vorher krankheitsbedingt ausfiel und kurzfristig durch Bo-Phyllis Strube ersetzt wurde – mit Textbuch in der Hand. Doch der Bitte um Entschuldigung durch Intendantin Bettina Jahnke gleich vorweg hätte es gar nicht bedurft: Das Textheft in den Händen wäre geräuschlos als Accessoire durchgegangen, von Improvisation keine Spur.

Gelangweilte Stadtrandadoleszenten

Kontrovers wurde es dann doch, sonst wäre ja auch der Titel unpassend. Concord Floral ist das semantische Pendant zur Colonia Dignidad, ein baufälliges Gewächshaus, in dem der kanadische Autor Jordan Tanahill seinen gelangweilten Stadtrandadoleszenten einen Zufluchtsort gibt. Im Stück ist das ein karges, mit halbvertrocknetem Grünzeug behangenes Gerüst, in der Mitte ein abgeranztes Sofa, um dessen Saum sich Kippen und Asche anhäufen (Bühne: Iris Kraft). Inmitten der Trostlosigkeit wird dort gekifft, getanzt und gefickt – leider nicht immer unterm Schirm der Sorglosigkeit. Denn plötzlich liegt da unter dem Haus eine halb verweste Leiche - die Leiche im Keller sozusagen.

Das eh schon angekratzte Idyll bekommt zusehend Risse, alle sind plötzlich „safe traumatisiert“. Regisseurin Lilli-Hannah Hoepner inszeniert die Clique allesamt als Zombies, als verstörend-versterbende Mischpoke Heranwachsender, die nur auf den Moment gegenseitigen Ausschaltens lauert.  

Bewusst negative, nihilistische Bilder

Diese bewusst negativen, nihilistischen Bilder formieren natürlich den bewussten Gegenpart zum herkömmlichen Hedonismus, der dieser Generation ja ununterbrochen angekreidet wird. Denn die Leiche verschwimmt in kurzem Geraune und dann offensichtlichem Desinteresse, was der ohnehin zombiesken Atmosphäre der Inszenierung zusätzlich Schwung verleiht.

Ohnehin droht dem abgründig-nebulösen Gewächshaus schon der Abriss: Eine Kaufland-Filiale (sic!) soll dort entstehen. Doch der Verlust des symbolischen Ortes schwingt sich schnell zum Verlust einer ganzen Generation auf, die sich von der ihrer Eltern mit Gewalt abgrenzen will: „Sollen wir euch einfach nur verzeihen, weil ihr so niedlich seid und Sudokus macht?“ Der Bruch ist grotesk: So könne Just Joeys schwerkranke Mutter nur gerettet werden, wenn sie eine Stuhltransplantation ihres Sohnes erhalte, konstatiert dieser. Es sind genau diese Bilder, die sprachlos machen. Verantwortung für die Alten? „Nein, ich steh nicht auf im Bus für euch.“ Nehmt das, Boomer!

Wie ausgeblutet geistern die hohläugigen Zombiekids über die Bühne (Maske: Nora Peters), die Dialoge sind so zackig choreografiert, dass einem von den Blickwechseln ganz schwindlig wird. Die Dynamik entsteht aus der Starre: Die beeindruckende Inszenierung scheut sich nicht davor, Bilder wirken zu lassen, ohne sie mit Worten zu überfrachten.

Was bleibt, ist eine bitterböse Groteske, ein Abgesang auf alles, was eine goldene Zukunft verspricht. Die hat hier keinen Platz. Oder wie es der Fuchs (Anastasiia Mazhara) am Ende des Stückes sagt: „Die Menschen tun mir leid, weil sie kein Fell haben, das sie warm hält.“ Da ist man auch als Zuschauer längst ausgekühlt. Grandios.

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