Kultur: Nerv für“s Dramatische
Uni-Musiker mit Bachs „Johannes-Passion“
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Mit ihrem Programmheft zur Aufführung von Johann Sebastian Bachs „Johannes-Passion“ durch Klangkörper der Universität Potsdam, an zwei Abenden im gut besetzten Nikolaisaal stattgefunden, hat die universitäre Musikpädagogik ganze Arbeit geleistet. Dirigierprofessor Kristian Commichau hat darin in kurzgefassten Worten seine Sichtweise auf“s Werk kundgetan, die Handlung der Übersichtlichkeit wegen in Szenen gegliedert, fast jeder Nummer theologische und musikologische Deutungen an den Rand geschrieben. So ist ein Kompendium entstanden, das den ungeübten Hörer zielsicher durch den dramatischen Passionsbericht führt.
Nun also zur Darbietung der „Johannes-Passion“ mit dem Chor „Campus Cantabile“ und der Sinfonietta Potsdam anlässlich des zehnjährigen Jubiläums beider Ensembles. (Der Rezensent hat das Donnerstag-Konzert besucht.) Beim Auftritt der Sänger und Musiker fällt die personelle Ausgewogenheit auf, was auf homogene Klangverschmelzung hoffen lässt. Zum Instrumentarium gehören auch zwei Theorben und eine Truhenorgel (als Basso continuo). Der Sänger der Jesus-Partie sitzt inmitten des Orchesters, im optischen Mittelpunkt, der des Evangelisten steht rechtshälftig, die übrigen Solisten sind rechts außen platziert. Zum Gesangsvortrag treten sie betulichen Schrittes an die Seite des Dirigenten. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen, wodurch sich der musikalische Fluss ständig unterbricht. Der sich dadurch einstellenden Tendenz zum Zelebrieren, die zudem mit einer gewissen Spannungslosigkeit einhergeht, wird leider nicht widerstanden.
Kristian Commichau pflegt einen lakonischen Dirigierstil, der auf die Lesart des Werkes nicht ohne Folgen bleibt. Das jeweilige Metrum wird konsequent durchgehalten – nicht immer zum Vorteil der Bachschen Eingebungen. Für“s Dramatische hat er dagegen einen Nerv, sodass sich die Turbae-Chöre zu spannenden, fast operntheatralisch wirkenden, kraftvoll vorgetragenen Miniszenen ausweiten. Aufhorchen lässt bereits die erste „Herr“-Anrufung im Eingangschor, die einem (Auf-)Schrei gleicht. Dynamisch geht es auch im Folgenden sehr differenziert zu. Leider wird die Verherrlichung des Herrn mehr gebrüllt als intensiv ausgedeutet. Die Choräle werden weich und voller gestalterischer Anteilnahme angestimmt.
Einen bühnenmäßigen Erzählstil sucht Jan Kobow für die Evangelisten-Rezitative zu finden. Er verfügt über einen sehr hellen und beweglich geführten Tenor, dem das Kraftvolle leider nur mit Mühe gelingt. Gradlinig, ein wenig unbeteiligt wirkend und gottlob ohne Seelenbibber singt Sebastian Bluth den Jesus-Part. In der Tiefe erweist er sich als nicht besonders sattelfest. Beider Rezitativ-Vortrag wird von den Continuisten vorzüglich begleitet, sodass der Dirigent nicht seines zeichengeberischen Amtes walten muss. Das übt er dann umso umsichtiger beim instrumental begleiteten Ariengesang aus. Die Sinfonietta zeigt sich dabei ganz von ihrer hingebungsvollen Seite, weiß um historisch angenäherte Spielweisen. Vorzügliche Instrumentalsoli umspielen den Vortrag der Solisten.
Kraftstrotzend, ausdrucksintensiv, mit langem Atem und strahlender Höhe singt Mark Adler die Tenorarien. Ein Genuss, genauso wie die lyrischen Bass-Bekundungen von Sören von Billerbeck in diversen Partien (Petrus, Hohepriester, Pilatus). Vokale Freudigkeit sucht Doerthe Maria Sandmann (Sopran) in den lyrisch geprägten Arien „Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten“ und dem leider viel zu breit angestimmten, gefährlich nah an der Langeweile vorbei schrammenden „Zerfließe mein Herze“-Bekenntnis. Mit ihrer ebenfalls instrumental geführten Stimme singt Ulrike Bartsch einprägsam „Von den Stricken meiner Sünden“, um gegen Passionsende mit viel Cellovibrato einfühlsam zu verkünden: „Es ist vollbracht!“ Die sichtlich erschöpften, aber glücklichen studentischen Künstler werden enthusiastisch gefeiert. Peter Buske
Peter Buske
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