Kultur: Nett sein können die anderen
Mit „Drei Mal Leben“ feierten die Freien Kammerspiele Babelsberg Premiere und gleichzeitig den Beginn ihrer Spielzeit
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Die Katastrophen des Alltags nehmen ihren Anfang fast immer im Banalen. Henri kommt aus dem Kinderzimmer und sagt zu seiner Frau Sonja nur diesen einen Satz: „Er will einen Keks.“ Mehr braucht es nicht, um zu verstehen, dass es hier um mehr gehen wird, als nur um einen lächerlichen Keks.
„Drei Mal Leben“ heißt das Theaterstück von Yasmina Reza, mit dem die Freien Kammerspiele Babelsberg am Freitag Premiere feierten und gleichzeitig den Beginn ihrer Spielzeit im ehemaligen Dokfilmstudio der Defa in der Grenzstraße eröffneten. Reza, die zu den derzeit wohl populärsten zeitgenössischen Theaterautoren zählt, lässt in „Drei Mal Leben“ zwei Ehepaare aufeinander los. Der Ort: Die Wohnung von Henri und Sonja. Die Beteiligten: Neben Henri und Sonja das Ehepaar Hubert und Ines Finidori. Und weil die Finidoris einen Abend früher als geplant zum gemeinsamen Abendessen kommen, braucht es nicht mehr viel, bis die notdürftig unter der Oberfläche des freundlichen Scheins verborgenen Spannungen hervorbrechen. Drei Mal lässt Reza diesen Abend auf der Bühne ablaufen. Und jedes Mal verschieben sich dabei die Konstellationen.
Am Anfang ist Henri nur ein erbärmlicher Jammerlappen, der schon daran scheitert, es gleichzeitig seiner distanzierten Frau Sonja und seinem sechsjährigen Sohn Arnaud recht zu machen, der nicht einschlafen will und mal einen Keks, dann einen Apfel verlangt. Dass überraschend die Finidoris zu Besuch kommen und Hubert nichts besseres zu tun hat, als Henri mitzuteilen, dass dessen dreijährigen Forschungen und damit verbunden eine erhoffte Beförderung wohl hinfällig seien, überrascht kaum noch bei diesem Schlagabtausch der kaum verdeckten Gehässigkeiten.
Christian Schlag gibt mit hängenden Schultern und mit Mitleids- und Leidensmiene dem Henri überzeugend Versagergestalt. Detlef Brand als Hubert, überheblich und gönnerhaft, selbstverliebt und sich am Elend Huberts labend. Michaela Benn als Sonja, distanziert und subtil berechnend, die ihren Versagermann zu hassen scheint, ihn aber gegenüber Huberts intrigantem Spiel verteidigt. Und dann noch Katharina Bellena als Ines. Ein unerträgliches Frauenzimmer zwischen affektierter Naivität und dem oft nur halbherzigen Aufbegehren gegen den Spott ihres Mannes, den er wiederholt auf ihre Kosten macht.
Mit jedem wiederholten Besuch verändert sich vor allem die Figur des Henri. Aus dem Versager wird ein selbstbewusster Mann, an dem die intriganten Demontageversuche Huberts abperlen. Regisseur Wolf Vogel versteht es, die Feinheiten und Gemeinheiten in dieser Runde deutlich zu machen. Schonungslos bis an den Rand der Lächerlichkeit wird hier das Niedere des zwischenmenschlichen Gezänks offen gelegt. Egal wer hier triumphiert oder am Ende geschlagen am Boden liegt, Verlierer sind hier alle. Doch gibt es in dieser Inszenierung auch Momente, in der der permanente Schlagabtausch ins Leere läuft, die Figuren an Kontur und Farbe verlieren und die Handlung belanglos wird. Störend kommt hinzu, dass ein Stützpfeiler im Raum von bestimmten Plätzen aus die Sicht auf die Bühne einschränkt, einige Momente und Szenen sind daher nicht für alle Besuchern vollkommen einsehbar. Am Ende aber viel Applaus für eine Premiere, der hoffentlich weitere Inszenierungen an diesem neuen Theaterstandort folgen werden. Dirk Becker
„Drei Mal Leben“ jeweils freitags und samstags um 20 Uhr und sonntags um 19 Uhr. Weitere Informationen unter www.freiekammerspielebabelsberg.de
Dirk Becker
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