Kultur: Neuer Blick
Studenten modernisieren das Weihnachtsoratorium
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Schon der Anfang weicht ab vom Gewohnten. Sieben junge Menschen laufen rhythmisch klatschend die Stufen des vollbesetzten Nikolaisaals hinunter. Auf der dicht mit Sängern und Instrumentalisten ausgefüllten Bühne angekommen, finden sie noch ein Plätzchen, um die perkussive und tänzerisch-bewegte Begleitung des altehrwürdigen Oratoriums fortzusetzen. Die kleine Gruppe gehört zu den Studierenden des Faches Ensemblepraxis. Stimme, Körperbewegung, Perkussionsinstrumente stehen im Zentrum ihrer Ausbildung. Zusammen mit Chor und Orchester der Universität Potsdam unter der Leitung von Kristian Commichau warf die Gruppe Body-Drums einen erfrischend neuen Blick auf das Weihnachts-Oratorium von Johann Sebastian Bach.
Der vokale Anteil liegt bei dem Konzert am Montag jedoch ausschließlich beim Chor Campus Cantabile und den ausgezeichneten Solisten Ulrike Bartsch (Alt), Doerte Maria Sandmann (Sopran), Kai Roterberg (Tenor) und Matthias Vieweg (Bass). Für die instrumentalen Passagen wurde die Sinfonietta Potsdam mit Studierenden und Freunden der Universität besetzt. Nahtlos gehen Klatschen und barfüßiges Stampfen in die Paukenschläge des Eingangschors über. Die wiegende Pastoralmusik von „Er ist auf Erden kommen arm“ swingt zum Klang von verschiedenen Rhythmusinstrumenten im Latinostil, was ihr sehr gut bekommt. Erst recht die Arie „Großer Herr du starker König“ mit ohnehin stark bewegter Melodie wird mit der studentischen Rhythmusgruppe zu einem mitreißenden Knaller. Für die besinnlichen Passagen im zweiten Teil des Weihnachtsoratoriums findet die Gruppe, die von der Diplom-Rhythmikerin und Tanzpädagogin Eve Gubler angeleitet wurde, anrührende Bilder. Bei der herrlichen, wunderschön von Ulrike Bartsch gesungenen Alt-Arie „Schlafe, mein Liebster“ verschlingen und lösen sie sich, fallen in Schlaf, erwachen und wiegen mit den Händen. Gelungen war auch der Solotanz zur Arie „Ich will dich mit Fleiß bewahren“ (Violine: Thomas Kretschmer).
Die Bewegungen orientieren sich am Ausdruckstanz sowie an der Methode von Jacques Dalcroze, dem Begründer der rhythmischen Erziehung und Lehrer an der Dresdner Anstalt für Musik und Rhythmik Hellerau. Darüber, ob das stete Klatschen zum Klavierkonzert d-Moll von Johann Sebastian Bach gepasst hat, herrscht Uneinigkeit im Publikum. Ein älterer Herr verlässt unter Protest den Saal. Doch auch dieses Experiment steht der Universität gut zu Gesicht, gerade für den Bereich der zukünftigen Musikpädagogen. Iris Unger, Sprecherin des Faches Instrumentale Ausbildung an der Universität Potsdam, spielt tadellos fließend und geläufig. Dem nachdenklichen zweiten Satz fügen die Perkussionisten mit seltenen Instrumenten Klänge aus Dschungel, Regen und Meer hinzu.
Obwohl der Chor wohl über 200 Sängerinnen und Sänger zählt, macht er seine Sache sehr gut, auch wenn das Orchester gelegentlich übertönt wird. Die Begeisterung für die Sache ist den jungen Menschen deutlich anzumerken. Aus dem Orchester sticht vor allem der Fagottist mit unermüdlichem Dudeln hervor, besonders im lieblichen Duett des dritten Teils. Die etwas lange Aufführung von fast drei Stunden erweist sich als gelungenes Experiment, das beweist, wie man altehrwürdiges Kulturgut achtsam modernisieren kann, ohne von der Botschaft abzuweichen. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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