Kultur: Neutöner trifft auf Saitensinger Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam
Kaum wehen ein paar laue Lüfte und locken wärmende Sonnenstrahlen zum Frühlingsspaziergang, erfüllen sich sofort Goethes prophetische Dichterworte: „Überall regt sich Bildung und Streben, alles will sie mit Farben beleben.“ Doch nicht nur in der Natur, sondern auch im Nikolaisaal war am Samstag selbiges Phänomen beim 8.
Stand:
Kaum wehen ein paar laue Lüfte und locken wärmende Sonnenstrahlen zum Frühlingsspaziergang, erfüllen sich sofort Goethes prophetische Dichterworte: „Überall regt sich Bildung und Streben, alles will sie mit Farben beleben.“ Doch nicht nur in der Natur, sondern auch im Nikolaisaal war am Samstag selbiges Phänomen beim 8. Sinfoniekonzert mit der Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Antonello Manacorda zu erleben. Es bot ein Programm mit Klassikern verschiedener Epochen, deren Beziehungsgeflechte nachzuspüren etwas Zauberhaftes innewohnte.
Zunächst von rauen Dissonanzenwinden und Klangschauern körnigen Eises durchweht, zieht Arnold Schönbergs Kammersinfonie sogleich das Interesse der Hörer auf sich. Voller Verve stürzen sich die Musiker auf die neutönerischen Baumaterialien, um aus ihnen ein avantgardistisches Klanggebäude zu errichten. Überschaubare Formen werden erkennbar und wirken vertraut. Doch plötzlich lösen sich ihre Strukturen auf, schieben sich ineinander, bilden Neues. Ein ständiger Prozess, den zu verfolgen unbändiges Vergnügen bereitet. Zumal der Dirigent ein sehr akribischer Gestenweiser für die Instrumentalisten und Hörer ist, die dadurch stolperfrei über die verschlungenen Klangwege finden. Er liebt straffe und zügige Tempi, weiß präzise Grelles gegen Sanftes zu setzen, Gefühl mit Rationalität zu verbinden.
Leidenschaftlicher Einsatz der Musiker, ihr dynamisch kontrastreiches, auf penibles Artikulieren bedachtes Musizieren sind weitere Erfolgsgaranten. Und da klingt ein lyrisches Seitenthema nach Art des romantischen Schwelgens einer „Verklärten Nacht“ einfach nur noch wunderschön – und passend. Erfreulich, dass das Opus des skandalumwitterten Neutöners längst seinen Hörschrecken verloren hat. Also belohnt starker Beifall die Wiedergabe.
Jubelstärke gewinnt er sich nach der Darbietung von Joseph Haydns Cellokonzert Nr. 2 D-Dur durch den Solisten Maximilian Hornung. Breit gefächert ist nun die Sitzordnung der Kammerakademisten, die der Exposition weiche und innige, schwingende und pointierte Gefälligkeit verleihen. Energisch vollziehen sich die solistischen Wortmeldungen. Von Leidenschaft und unbändiger Spiellust durchglüht, meistert der Saitensinger alle technischen Anforderungen mühelos. Bei den unglaublich schnellen Läufen in höchsten Lagen zeigt er sich gleichsam als ein schwindelfreier Hochseilartist. Hell ist sein Ton und traumwandlerisch sicher seine Intonation, die Lagenwechsel geraten ihm perfekt. Allerdings weiß er auch ein Adagio als eine zärtliche Gesangsszene zu gestalten. Nahezu sportiv stürzt er sich in die virtuosen Eskapaden des finalen Allegro.
Auf haydnscher Traditionspflege beruht auch Johannes Brahms’ D-Dur-Serenade, deren Deutung vor schierer Musizierlust aus allen romantischen Nähten zu platzen scheint. Energisch und federnd, auftrumpfend bis lärmend, bisweilen heiter, jedoch oft zum Brio-Hype hochgepuscht gibt sich die heitere Abendmusik anfangs, um danach von geheimnisvollen, melancholischen, unruhevollen und finalfröhlichen Kehraus-Gefühlen einer lauen Frühlingsnacht zu künden. Klarinetten- und Hörnerwohlklang runden das Ganze zum begeistert aufgenommenen Hörerlebnis ab. Peter Buske
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: