Kultur: Nicht an allem schuld
Podiumsdiskussion über die 68er und die Vertriebenen im Alten Rathaus
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Territoriale Bezeichnungen sind keineswegs immer eindeutig. Was genau gemeint ist, hängt mitunter von den Kontexten ab, den zeitlichen und den örtlichen. Am Donnerstag war im Alten Rathaus ausschließlich von Ostdeutschland die Rede. Gemeint war allerdings nicht der Landstrich zwischen Elbe und Oder, sondern das Gebiet östlich der Oder. Einer Nachgeborenen, die in Potsdam aufwuchs, mutet ein solcher Sprachgebrauch mindestens skurril an.
Das Zentrum gegen Vertreibungen hatte gemeinsam mit dem Moses Mendelssohn Zentrum zu einer Podiumsdiskussion über die „68er und die Vertriebenen“ eingeladen. Auf dem Podium waren außer dem Moderator Alexander Gauland und dem 46jährigen Historiker Manfred Kittel zwei bekannte 68er: der Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski sowie die Grünenpolitikerin Antje Vollmer. Im Publikum hingegen saßen mehrheitlich Vertriebene, einige, die das Geschehen der Vertreibung selber erlebt haben. Viele aber auch, für die Vertreibung Teil der tradierten Familiengeschichte ist, die zu einer bestimmenden kulturellen Wurzel wurde.
Konfrontationen blieben da nicht aus. Weil sich das Publikum auf dem Podium nicht vertreten sah, tat es seine Meinung zu dem Gesagten immer wieder durch Zwischenrufe und Unmutsäußerungen kund. Die konfrontativen Positionen, die das Thema Vertreibung in der Bundesrepublik bestimmen, wurden einmal mehr bestätigt. Dabei bemühte sich das Podium um eine historisch differenzierte Sicht und einen empathischen Blick auf die von Vertreibungen Betroffenen. Manfred Kittel verwies zunächst auf die Vorgeschichte von “68, so habe es bis Mitte der 50er Jahre einen Konsens über einen Anspruch auf Heimat gegeben. Doch mit zunehmender Integration der Vertriebenen in die junge Bundesrepublik wich der soziale Druck, dieses Thema politisch zu thematisieren. Nachdem seit dem Bau der Mauer schon eine Wiedervereinigung der vier ehemaligen Besatzungszonen in absehbarer Zeit unmöglich schien, galten territoriale Ansprüche auf Gebiete im heutigen Polen und Russland als politisch illusorisch.
Für das Podium stellte sich die Integrationsgeschichte der Flüchtlinge als eine der größten sozialpolitischen Leistungen der alte Bundesrepublik dar. Besonders das Lastenausgleichsgesetz von 1948 habe dazu beigetragen, die materiellen Verluste der Flüchtlinge zu kompensieren. Die Integration auf mentaler Ebene, so Manfred Kittel, sei aber weniger gelungen. Vielen wurde die zweite Heimat zur kalten Heimat. Antje Vollmer führte dies zum Teil auf Integretationsunwillen von Vertriebenen zurück. Territoriale Ansprüche verhinderten eine Befriedung der Gesellschaft. Die Ostpolitik der SPD setzte in den 60er Jahren darauf, dass sich die stereotypen Bilder von Polen, Russen und Tschechen änderten, was, so Vollmer, im Lager der Vertriebenen nicht toleriert wurde. Damit jedoch öffneten sich die Vertriebenenverbände, die zuvor auch SPD-Mitglieder an ihrer Spitze hatten, der äußersten Rechten der Gesellschaft.
Die Studentenrevolte der 68er reagierte auf diese Entwicklung mit einer grundsätzlichen Ablehnung der Vertriebenenverbände. Und das, obwohl viele Protagonisten der Bewegung selber aus Vertriebenenfamilien kamen. So wie Rüdiger Safranski, der pränatal geflohen wurde. Die 68er hatten ein klares Feindbild, das sich gegen revanchistische und antikommunistische Tendenzen in der Gesellschaft wendete. Die Sprecher der Vertriebenen wurden als Kryptofaschisten angesehen, die die Kriegsergebnisse wieder rückgängig machen wollten.
Den 68ern die alleinige Schuld für die Nicht-Anerkennung des Leids der Vertreibung zuzuspechen, lehnte der Moderator in seinem Schlusswort ab: „Die 68er sind an ganz vielem schuld, dass sie auch an diesem schuld sind, muss ich als Konservativer zurückweisen.“ Lene Zade
Lene Zade
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