Kultur: Nicht in die Welt passen wollen Tom Liwa gab ein Konzert im Waschhaus
Tags zuvor in Magdeburg kam es zu einem Missverständnis. Während Tom Liwa nach seinem Konzert von einer akuten Magen-Darm-Grippe völlig entkräftet vor der Halle in den Schnee sank, deuteten Fans auf ihn und meinten, „Hey, das ist Rock“n Roll“.
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Tags zuvor in Magdeburg kam es zu einem Missverständnis. Während Tom Liwa nach seinem Konzert von einer akuten Magen-Darm-Grippe völlig entkräftet vor der Halle in den Schnee sank, deuteten Fans auf ihn und meinten, „Hey, das ist Rock“n Roll“. Was wie eine Geste des Ruhmes aussah, war Körperschwäche. Liwa erzählt diese Episode im Waschhaus, um mit dem Hinweis auf seinen Virus den rund einhundert Zuhörern für den Abend „Qualität statt Quantität“ zu versprechen. Mit zwei akustischen Gitarren und einer „diatonischen keltischen Harfe“ ausgerüstet, hatte er nach zwei Stunden dann doch beides vollbracht. Rock“n Roll ist, wenn man dennoch auf der Bühne steht.
Und wahrer Rock“n Roll ist, wenn man, wie Liwa, eine eigene Geschichte vorweisen kann. Seine Band, die vor einundzwanzig Jahren gegründeten Flowerpornoes, waren der Inbegriff der deutschen Independent-Band in Zeiten, in denen man noch getrost „Platte“ sagen konnte und das auch wirklich meinte. Schon damals zeichneten sich Liwas Texte durch eine Sprache aus, die auf jegliche Erhöhung durch als falsch und unzeitgemäß empfundenen Pathos verzichteten. Und Rock“n Roll ist, wenn es eine „Reunion“ gibt. Im Frühjahr soll es zum ersten Flowerpornoes-Konzert seit zehn Jahren kommen.
Liwas Musik ist vielleicht der sanfteste Rock, den man sich vorstellen kann. Hier im Waschhaus hat er fast schon die Qualität eines mittelschweren Sedativums. In der Entwicklung als Musiker ist Tom Liwa auf einem Weg, den Dylan, Cat Stevens, Johnny Cash oder Van Morrison auch gegangen sind. Der Weg des Alters, der Weg der Innerlichkeit und Vergeistigung. Liwa sucht in Liedern wie „Traumdeuter“ vom neuen Album „Dudajim“ nach einer höheren Seinsebene. „Ich wollte tanzen“, singt er, und hat sich schon verwandelt: „ich war mein Tanz“. Auch seine alten Stücke scheinen sich in einer halbtransparenten Spiritualität aufzulösen. „Etwas ist anders, etwas ist gleich“, heißt es und, ja, Liwas alter Haarschnitt eines melancholischen Dandys ist einem jugendlichen Strubbel gewichen. Die Grundtraurigkeit freilich ist geblieben. Ein Backenbart und nackte Füße, dazu grauer Anzug und weißes Hemd, im Hintergrund die Harfe, Rauchverbot im Saal, Räucherwerk und eine brennende Kerze. Liwa scheint im esoterischen Hobbit-Land angekommen zu sein. Oder eine Karriere als Prediger im Auge zu haben.
Der „Rolling Stone“ schrieb über Liwa mal: „Einer der besten Songwriter deutscher Zunge“. In der neuen, weichgespülten Live-Version klingt ein Titel wie „Für die linke Spur zu langsam, für die rechte Spur zu langsam“ wie sanfter Tempelgesang.
Dabei gelingt es Liwa hier mit einer seiner großartigen, weil schlichten Metapher für die Unmöglichkeit des Daseins und das einfach Nicht-passen-Wollen in die Welt genau jenes Zeitgefühl zu treffen, für dessen eher nebulöse Beschreibungsversuche Bands wie Tomte oder Kettcar heute schon frenetisch gefeiert werden. Liwa erlaubt seinen Zeilen eine kurze Nachdenkpause, in der er die schönsten Gitarrenakkorde setzt. Wären sie Vögel, sie würden zum Himmel abheben und Kapriolen fliegen. Seine Stimme ist für einen richtigen Rock“n Roller zu hoch und sanft. Ätherisch, flüstergleich und nah.
Etwas ist anders, etwas ist gleich. Liwas letzte Aufnahme unter dem Namen „No existe“ war sogar ein Punk-Projekt. In der Schiffbauergasse lockerte er sein eher melancholisches Programm durch zwei skurrile Hörstücke auf, die Liwa an seiner Harfe hockend begleitete. Eine mysteriöse Figur „Myrlen“ scheint da alles über den anscheinend so stillen und feinfühligen Songwriter zu wissen. Zum Beispiel, dass er mit nacktem Oberkörper im Fanblock des MSV Duisburg stand und dem schwäbischen Gegner zubrüllte: „Kniet nieder ihr Bauern, denn Duisburg ist zu Gast!“ Irgendwie klingt das doch schon sehr nach echtem Rock“n Roll. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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