Kultur: Nicht mehr als ein Sittenbild
Erich Kästners „Fabian“ nur halb bei einer Lesung im Hans Otto Theater
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Nein, darauf möcht“ wohl keiner kommen, dass man den Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ wie eine kolportierende Milieustudie erzählen kann, schließlich stammt er von Erich Kästner, und der war immer irgendwie politisch. Auch sein „Fabian“ (1931) sollte „kein Photographiealbum“ werden, der weitbekannte Autor wollte seiner Gesellschaft vielmehr einen satirischen „Zerrspiegel“ vorhalten, besonders den immer schläfriger werdenden Intellektuellen. Ursprünglicher Titel: „Der Gang vor die Hunde“. Von Rechts und Links steht im Roman so einiges geschrieben, von Proletariat und Kommunisten.
Was hatte den erfahrenen Literaturkenner Hans-Jochen Röhrig bei der jüngsten Soiree im Hans Otto Theater (HOT) nur dazu getrieben, die „politische Komponente“ weitgehend auszublenden und dafür ein privates Sittenbild zu geben, welches sich freilich von den heutigen Zuständen wenig unterscheidet?
Wer am Sonntag ohne Vorkenntnis zur szenischen Lesung ans Havelufer kam, hatte gewiss sein Vergnügen, aber der ganze „Fabian“ war“s nun auch wieder nicht, entsprechend auch nur der halbe Kästner. Amore dominierte.
Wie in Döblins „Berlin. Alexanderplatz“ setzt der Autor auch seinen Helden allerhand Versuchungen aus, um zu zeigen, wie schwer es eigentlich ist, in ringsum verwirrten Zeiten anständig zu bleiben. Caroline Lux, Andreas Herrmann und Henrik Schubert führten das zahlreich erschienene Publikum sogleich in medias res, also in die Privatgemächer der Nymphomanin Irene Moll. Sie will sich über den Doktor phil. hermachen, doch ihr Gatte tritt dazwischen. Fabian erfährt von einem Ehekontrakt, wonach der Jurist ihre Freier bezahlt, so sie ihm selber gefallen.
Der Moralist flieht. Dann wird auch sein Freund Labude eingeführt, gleichfalls promoviert und in unangemessener Stellung tätig. Im Buch steht dieser Literaturwissenschaftler für den politisch wachen Intellektuellen, ein kluger Vermittler zwischen Reform und Revolution, aber davon erfuhr das Publikum ebenso wenig wie von seinem Selbstmord, oder das Credo posthume: „Wir stehen an einem der seltenen geschichtlichen Wendepunkte, wo eine neue Weltanschauung konstituiert werden muss ...“ Im HOT war er nur der beratende Freund des Protagonisten.
Fabian treibt ziellos in Cafés und anrüchigen Ateliers herum, ihm wird stante pede gekündigt, und dann ist auch noch eine zarte Zuneigung zu der Referendarin Cornelia Battenhagen, die zufällig in derselben Wohnung lebt wie er. Sie opfert diese Liebe, um beim Film Karriere zu machen. Hingabe gehörte – damals – dazu, denn: „Man kann nur aus dem Dreck heraus, wenn man sich dreckig macht“. Immer wieder trifft er auf Irene, immer weist er ihre Angebote von sich. Schließlich geht er zurück in seine Heimatstadt Dresden, wo er zuerst die Anstellung bei einer rechten Zeitung ausschlägt, dann aber einen Knaben vor dem Ertrinken retten will. Kästners Moralist hatte Pech: „Er konnte leider nicht schwimmen“, heißt es am Ende lakonisch. Darauf mocht“ nun tatsächlich keiner kommen: Auch so kann man anständig bleiben.
Inge Lindner (Klavier) und Christian Vogel (Saxophon, Klarinette) versorgten den Text, laut Beizettel „eine der brillantesten Satiren auf Berliner Zustände in der Weimarer Republik“, mit überseeischen Klängen der Weimarer Zeit. Das Problem blieb eine unausgewogene, vorwiegend auf die Amouren gerichtete Textauswahl. Halb Fisch – halb Fleisch, also nichts Ganzes. Die Zeiten werden eben wieder privater. Gerold Paul
Gerold Paul
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