Kultur: Nicht nur Slapstick
Stummfilmabend mit Chaplin im Filmmuseum
Stand:
Im Kinosaal ertönt Gelächter, das um sich greift. Auf der Leinwand flimmern verwaschen körnige Schwarzweiß-Stummfilme, in denen sich Herren mit buschigen Schnauzbärten in irrsinnigem Tempo um die Tische jagen, mit allem Möglichen bewerfen oder sich permanent gegenseitig umhauen, um sogleich wieder hochzuschnellen. Ein beschwingtes Orgelspiel begleitet den ganzen Trubel und Nonsens gekonnt. Etwa so muss es damals gewesen sein, als die Bilder laufen lernten und mit der kurzlebigen Kunstform des Stummfilms bald auch die Stunde des Slapsticks und seines Meisters, Charlie Chaplin geschlagen hatte. Am Freitagabend im Filmmuseum war es wieder soweit.
Da watschelte der kleine Mann in dem engen abgetragenen Jackett und den viel zu weiten Hosen wieder mit Stöckchen und Pinguinschritten von einem Fettnäpfchen ins nächste. Rührselig aus seinen dunklen Augen blickend, eilfertig und gestenreich. So hatte Charlie Chaplin aus dem guten Clown die Filmfigur des Tramps entwickelt und war damit binnen kurzem bereits zum Stummfilmstar avanciert, als er 1916 bei der Mutual Film Corporation für ein Jahr unterschrieb und dort zwölf Kurzfilme produzierte, die heute mit zu seinen besten gezählt werden.
Vier davon präsentierte das Filmmuseum Potsdam seinen gut 80 Gästen an diesem Abend en bloc: „Das Pfandhaus“, „Der Feuerwehrmann“, „Die Rollschuhbahn“ und „Hinter den Kulissen“. Die damals wie heute recht anspruchsvolle Aufgabe, dem stummen Geschehen auf der Leinwand auch hörbaren Ausdruck zu verleihen, übernahm, wie all die Jahre zuvor, der Komponist Helmut Schulte an der Welte-Kinoorgel. Später scharten sich einige Interessierte um diesen Wunderkasten, mit welchem Chaplins wilde Spektakel nicht nur musikalisch begleitet, sondern zugleich auch passgenau von allerlei schepperndem Getöse oder heulenden und schrägen Geräuschen untermalt wurden.
Denn abgesehen von den gelegentlich einmontierten Zwischentexten, wurde die Handlung allein durch das albern übertriebene, körperbetonte und mimische Schauspiel der Slapstickkomödianten transportiert. All die misslichen Lagen und Peinlichkeiten, in die Chaplin in seiner flexiblen Vagabundenrolle ständig gerät, wenn er es vergeblich seinen Kollegen wie Feuerwehrmännern, Kellnern oder Bühnenarbeitern und mehr noch seinen häufig vom hünenhaften Eric Campbell gespielten Vorgesetzten recht machen will, entladen sich stets in einer rasanten Abfolge physischer Gags. In wilder Hatz werden sich volle Suppenterrinen und Wischeimer über die Köpfe gegossen, die obligatorischen Torten fliegen durch die Luft, die rüden aber harmlosen Handgemenge nehmen kein Ende und unentwegt und wiederholt rutscht jemand aus. Und alles so zackig und flitzend! Vermeintlich würdevolle Herren in Anzügen rollen mit den Augen und benehmen sich wie tobende Kinder, und die schöne Edna Purviance steht mit bleichen Wangen daneben und presst beide Hände aufs Herz.
Doch es ist nicht allein dieser Slapstick-Klamauk, der in diesen frühen Filmen Chaplins zelebriert wird und auch nicht nur die Satire des damaligen Fortschritts mittels Requisiten wie Rollschuhen oder diversen Haushaltsgeräten. Was diese vier Filme ebenfalls zeigten, war das verzweifelte Bemühen eines schäbigen Landstreichers, trotz jedweden lächerlichen Malheurs, als Gentlemen zu erscheinen, jene Spur von Tragikomik also, die sich erst in Chaplins späteren Filmen voll entfalten sollte. Daniel Flügel
Daniel Flügel
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: