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Kultur: Nicht ohne NebenwirkungDas Berliner Trio Tuomi im Nikolaisaal

Dass es immer soweit gehen muss. Mit einfacher aber trotzdem anspruchsvoller Samstagabendunterhaltung hätte man sich im Foyer des Nikolaisaals schon begnügt.

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Dass es immer soweit gehen muss. Mit einfacher aber trotzdem anspruchsvoller Samstagabendunterhaltung hätte man sich im Foyer des Nikolaisaals schon begnügt. Zwei Stunden Genuss und danach wieder schnell nach Hause. Manchmal kann man in dieser Hinsicht auch bescheiden sein. Doch der Genuss von Tuomi bleibt garantiert nicht ohne Nebenwirkungen, soviel ist seit Samstag klar.

Die Schuldigen sind schnell genannt: Sängerin Kristiina Tuomi, Pianist Carsten Daerr und Bassist Carlos Bica. Bei Margherita Biederbick, Violine, und Hannah Klein, Viola, kann auf mildernde Umstände plädiert werden, sie kamen nur für vier Lieder auf die Bühne. Doch das Trio Tuomi ist voll schuldfähig. Denn was die drei Musiker gut zwei Stunden lang taten, war vorsätzlich. Auf der Bühne die Täter und im fast ausverkauften Foyer wir, die Opfer. So gut behandelt haben wir uns, trotz bedingungslosem Ausgeliefertsein, schon lange nicht mehr gefühlt. Dabei fing alles ganz harmlos an.

Carlos Bica zupfte einen simplen Wechselbass, Kristiina Tuomi, schuhlos unterm langen Rock, legte die Zeile „Little earth I have fallen in love with you“ dazu und Pianist Carsten Daerr, mit keckem Filzhut zu schwarzem Cordjackett, schmeichelte mit ein paar Akkorden. Entspannt lehnte man sich zurück. Dann kündigte Kristiina Tuomi als nächstes Rilkes „Liebes Lied“ an. Oh weh, der erste Gedanke, jetzt kommt auch noch eine Gedichtvertonung. Und die Entspannung war dahin.

Carsten Daerrs lässig-unaufgeregtes Spiel versöhnte sofort, dazu Bicas samtweicher Bass. Und als Kristiina Tuomi begann, Rilke zu singen, vergaß man fast das Atmen. Denn, was die drei ins Foyer legten war so zart, dass man befürchten musste, selbst zu viel Nachdenken darüber, könnte diese hauchdünne Spannung sofort zerreißen.

Das Konzert des Berliner Trios Tuomi in Potsdam war das erste mit Liedern vom aktuellen Album „The expense of spirit“. Wie schon auf ihrem Debüt „Tightrope Walker“, das Anfang 2005 erschien, gehen Tuomi auch hier ihrer Vorliebe für Gedichtvertonungen nach. Neben Yeats sind das vor allem Edgar Allan Poe und William Shakespeare. Das lässt viel Raum für Moll und allzu ambitionierte Kompositionen. Dem Moll fühlen sich Tuomi absolut verpflichtet. Aber allzu ambitionierte Kompositionen sind ihre Sache nicht. Welch ein Glück.

Was Carsten Daerr und Carlos Bica spielen, möchte man fast schon die neue Bescheidenheit im Jazz nennen. Feine Melodien, die in ihrer Einfachheit ungeheuere Überzeugungskraft entfalten. Und dann diese Altstimme von Kristiina Tuomi, die ganz langsam ihre Wirkung entfaltet und einen spätestens beim dritten Lied auf die Knie gehen lässt. Musikalischen Kategorien entzieht sich das, was die drei machen. Tuomi sind Tuomi, andere Erklärungsversuche sind zum Scheitern verurteilt.

Hört man die beiden Alben „Tightrope Walker“ und „The expense of spirit“ sind die Nebenwirkungen schon enorm. Aber das Konzert von Tuomi im Nikolaisaal war in der Hinsicht fatal. Mit jedem Lied wurde die Dosis erhöht. Und als mit „Rid my pain“ ein Sonett von Shakespeare kam, war da nur noch Fassungslosigkeit. Hinsehen, zuhören und geschehen lassen, mehr blieb einem nicht übrig. Nach so einem Lied wünscht man sich einen Tag lang Schweigen und Stille. Aber auch ohne das wird dieser Abend noch sehr lange nachwirken.

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