Von Dirk Becker: Nicht ohne Pathos
Das 9. Potsdamer Jazz Festival: Helen Schneider und Band am Samstagabend im Nikolaisaal
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Der Hit kommt zum Schluss, das ist noch immer die beste Dramaturgie. Helen Schneider, charmant wie den ganzen Abend schon, verzichtet nach dem letzten Lied auf den üblichen Abgang von der Bühne, um das Publikum minutenlang für die gewünschte Zugabe klatschen zu lassen. Wozu dieses „Blabla“, wie sie es nennt. Sie will singen und das Publikum will sie hören. Ein Lied also noch, für das sie, kurz bevor die Musik einsetzt, schnell noch dem lieben Gott danken will. Dann lässt Helen Schneider „Rock“n“Roll Gypsy“ los.
Das ist das Lied, mit dem es die Schneider 1981 in die Top-Ten geschafft hat und das bis heute zum Gassenhauer und zur Wiedererkennungsmeldodie taugt. Ein kurzes Bluesrockgestampfe, das es in sich hat und perfekt plaziert ist. Der letzte Ton verklingt und das Publikum liegt der Sängerin zu Füßen. Viele der Zuhörer im fast ausverkauften Nikolaisaal reißt es aus den Sitzen und die Schneider genießt die Ovationen. Ein perfekter Auftakt des 9. Potsdamer Jazzfestivals am Samstagabend, wenn man im Saal nur auf die Bühne und die jubelnden Massen schaut. Doch wer nach links und rechts schaut, sieht ein paar wenige Gäste, die kopfschüttelnd zu den Ausgängen streben.
„Like a woman“ nennt die gebürtige New Yorkerin und nunmehr Wahlberlinerin ihr Programm, mit dem sie in den Nikolaisaal gekommen ist. Es ist ein Rückblick in Liedern, ihre musikalische Biographie, in der sie die Musiker zitiert, die sie beeinflusst haben und ihnen gleichzeitig Dank und Respekt zollt. Da ist viel Rock, Blues, ein wenig Pop und auch Jazz. Eine Bandbreite, der Helen Schneider in jeder Lage gewachsen ist. Doch bleibt nach gut zwei Stunden dieser musikalischen Zeitreise doch Unzufriedenheit.
Mit Carole Kings „A natural woman“ eröffnet Helen Schneider den Abend. Sie hat ihren drei Musikern den Vortritt gelassen, die ihr sofort den musikalischen roten Teppich ausrollen, den die Schneider perfekt zu nutzen weiß. In schwarzem Kleid mit radikaler Rückenfreiheit betritt sie die Bühne, und den ganzen Abend schaut man ihr zu und will nicht glauben, dass diese Frau schon 55 Jahre alt sein soll. Dann lächelt sie charmant und einnehmend und lässt ihre Stimme walten.
Oh ja, singen kann die Schneider. Da ist viel Kraft und Volumen in ihrer Stimme, viel Vibrato und Wohlklang. Ob der Bluesrock „I caught the blues from someone else“ oder der Dylan-Klassiker „Just like a woman“, ob der Stingsche Popfetzen „Mad about you“ und oder das jazzige „Some cats know“, Helen Schneider zieht alle Register und zeigt, was ihre Stimmbänder hergeben. Doch schon nach wenigen Liedern wünscht man sich eine zurückhaltendere Gesangsart, denn zu oft legt die Schneider Pathos und große Gesten in die Musik.
Sie hat sich mit dem Gitarristen Jo Ambros, dem Schlagzeuger Obi Jenne und dem Bassisten Mini Schulz für das klassische Trio entschieden. Und die drei Musiker wissen, ihre Helen Schneider perfekt zu begleiten. Doch man vermisst die Ecken und Kanten, zu oft wirkt das Gehörte so aufregend wie eine glatt polierte Oberfläche. Und wenn die Schneider dann mit ihrer vom Musical geprägten Stimme effekt- und glanzvoll Tom Waits kauziges „House where nobody lives“ singt, kratzt man sich doch etwas erschüttert am Kopf. Dass sie auch anders kann, zeigt Helen Schneider nach der Pause.
Mit „Prisoner of a dream“ und „Some Cats know“, das ihr großes Vorbild Peggy Lee gesungen hat, zeigt die Schneider, dass sie sich auch auf Natürlichkeit, Zurückhaltung und Minimalismus versteht. Das sind genau die ganz persönlichen Momente, von denen man sich an diesem Abend mehr gewünscht hätte. Doch schnell ist Helen Schneider wieder beim großen Volumen und dem Pathos in ihrer Stimme, für das sie die meisten Zuhörer hier lieben und das letztendlich immer ein Frage des Geschmacks ist. Doch als sie dann das Märchen von Schneewittchen, in einer Neubearbeitung von Anne Sexton, zum Besten gibt, ist man doch ein wenig entsetzt. Das ist lang und laut und in keiner Weise originell. Und so gehört man dann auch zu den Wenigen, die am Ende des Konzerts, nach der ersten Zugabe, inmitten des Jubels kopfschüttelnd den Saal verlassen.
Dirk Becker
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