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Tanzend das Innere nach außen kehren. Ein halbes Jahr arbeiteten Jugendliche und Erwachsene an einem gemeinsamen Tanzstück.

© Manfred Thomas

Von Almut Andreae: Nicht verloren gehen

Gemeinsam stark: Tanzprojekt gegen Macht und Ohnmacht feierte im T-Werk Premiere

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Die ersten Schritte wirken noch unsicher. Ungelenk auch die Bewegungen, mit denen sich die Jugendlichen am Premierenabend des Tanzstückes „Macht & Ohnmacht“ den Bühnenraum im T-Werk zunächst zögernd erobern. Doch mit der Musik schwappt dann sehr rasch der Mut auf alle über. Spätestens, als die elf Jungs und Mädchen einer nach dem anderen ein Solo aufs Parkett legen, gibt es für die Teenager kein Halten mehr. Alle Schüchternheit ist vergessen, als ihnen der Breakdance in die Glieder fährt. Die Musik treibt sie zu akrobatischen Kunststückchen an. Begeistert stürzen sich die Zwölf- bis Sechzehnjährigen in die Tanz-Arena, reißen einander atemlos mit.

Die drei Stelen auf der kargen Bühne werden im Laufe des Stücks zu Projektionsflächen für Filmsequenzen. Momentaufnahmen auch des gemeinsamen Tuns und Ausprobierens: wie und wann lassen sich die Lebenswelten von Jugendlichen und Erwachsenen aneinanderdocken? Wohin führt es, sich auf ein solches Experiment einzulassen, was erwartet man sich davon? Jugendliche aus vielen weiterführenden Potsdamer Schulen, insbesondere aber aus den Stadtteilen Am Schlaatz, Am Stern und Drewitz, haben sich gewagt. Auch, weil es darum ging, das Ganze mit Tanz zu verbinden. Breakdance, Modern Dance und (Contact)-Improvisation hat sie gepackt. Und dazu beigetragen, Hemmungen, Schüchternheit und andere Bedenken im Miteinander abzubauen.

Ein halbes Jahr hatten die Jugendlichen und Erwachsenen Zeit, um aufeinander zuzugehen, Berührungsängste zu überwinden, Sprachlosigkeit auch. Behutsam näherten sie sich Fragen, die ans Eingemachte gehen. Die darum kreisen, den eigenen Körper anzunehmen, sich mit Rollenbildern und Zukunftsperspektiven auseinanderzusetzen. Die Probleme und Ängste, die gerade Jugendlichen oft quälend im Nacken sitzen, nennen sie beim Namen. Die Statements der jungen Leute untermalen in dem multimedial konzipierten Tanztheaterstück ihre Körpersprache. Dadurch wird es in sich stimmig und vor allem authentisch. „Ich habe Angst vor Ungerechtigkeiten“, „Ich fürchte mich vor dem, was ich nicht verstehen kann“, vertrauen sich die jugendlichen Tänzer der Welt da draußen an. Eingeständnisse und Realitäten, die im Laufe der Stückentwicklung einfließen in Stimmen vom Tonband, in den Raum hineinprojizierte Schriftzüge, vor allem aber in Bewegung. Bewegung, die sich einerseits verausgabt und andererseits Haltung annimmt in immer neuen choreografischen Bildern. Wo Ruhepole entstehen, wie in einem behutsamen Pas de deux oder die Tänzer in wechselnden Konstellationen den Bühnenraum austanzen.

Angst vor Veränderung, vor dem eigenen Versagen oder überhaupt Fehler zu machen, führt Jugendliche durchaus hart an die Grenzen der Ohnmacht heran. „Ich möchte nicht verloren gehen“, gibt an einer Stelle der knapp 45-minütigen Aufführung den Subtext dafür, tanzend das Innere nach außen zu kehren. In dem Stück haben die Jugendlichen den Mut, sich zu zeigen, auch in ihrer Verletzbarkeit, und ihre Welt mit anderen zu teilen.

Sich zu öffnen, einander zu vertrauen, sich buchstäblich fallen zu lassen, bezeichnet die Lernprozesse, die die Mitwirkenden des Tanztheaterprojekts gemeinsam machten. Profis aus dem Bereich Tanz und Choreografie (Oxymoron Dance Company) unter der Regie von Anja Kozik trugen mit ihrer künstlerischen Begleitung der generationsübergreifenden Beziehungsarbeit maßgeblich zum Gelingen bei. „Macht & Ohnmacht“ ist Tanz gewordener Ausdruck eines intensiven Dialogs zwischen jungen und gereiften Menschen. Die fünfzig Jahre Lebenserfahrung, die zum Teil zwischen ihnen lagen, galt es nicht als Hürde, sondern als Bereicherung zu nehmen. Es gehörte daher zum Konzept des auf etwa ein Jahr angelegten soziokulturellen Projekts, zwischen den teilnehmenden Jugendlichen und den Erwachsenen Patenschaften einzurichten. Mit dem Ziel, auf der Basis des persönlichen wie beruflichen Erfahrungsschatzes der Älteren den jungen Menschen Orientierung auf dem Weg der Selbstfindung zu bieten. Dies ist seit dem letzten Herbst in zahlreichen Gesprächen, Workshops und Improvisationen geschehen.

Die, die keine Lust verspürten zu tanzen, wohl aber mit dabei zu sein, dokumentieren das Erreichte mit Hilfe von Fotografie, Film und Podcast. Die Hürden, die von den Initiatoren (Träger des Projekts: Büro Blau, Berlin) und der künstlerischen Leitung mitunter zu bewältigen waren, bestanden vor allem in logistischen Abläufen. Etwa wenn es darum ging, Schüler, Azubis und Berufstätige über all die Monate für die Probenarbeit unter einen Hut zu bringen. Die, die auf dem Weg zum Ziel nicht abgesprungen sind, haben allen Grund stolz auf das Ergebnis zu sein. Im Übrigen konnten von der Patenschaft erkennbar alle Seiten profitieren. So zeigte sich auch in der Premierenvorstellung, dass die Jüngeren den Älteren in Punkto Bühnenpräsenz allemal das Wasser reichen. Und dabei eine Energie mobilisieren, die sie sicherlich auch noch zu ganz anderen Schritten beflügeln wird.

Weitere Aufführungen von „Macht & Ohnmacht“ in Wittenberge (22.4.), Eisenhüttenstadt (9.6.) und Schwedt (28.6.).

Almut Andreae

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