Kultur: Nicht zu fassen
„Mein Lieben ist ein Fieber“: Sonette von Shakespeare und Musik aus seiner Zeit mit Gabriele Näther und Moritz Führmann
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„Von schönsten Wesen wünschen wir Vermehrung, damit der Schönheit Ros“ unsterblich sei, und, wenn das Reife stirbt durch Zeitverheerung, sein Bild in zarten Erben sich erneu““ So beginnt die Serie von 154 Sonetten vermutlich Shakespearescher Hand, worüber die Forschung immer nur das Unklare mitzuteilen weiß: Man streitet über die Entstehungszeit, über die seltsame Widmung eines „T.T.“ an ihren „einzigen Erzeuger“, aber auch über den Adressaten: Dass er weiblich sein müsste, erkennen kundige Forscher nur mit Mühe, das Gegenteil will man weder sich, noch der Insel zumuten. Die „gezuckerten Sonette“ des „honigsüßen Shakespeare“ sind zudem derart kompakt geschrieben, dass man sich ihren Sinngehalt richtig erarbeiten muss. Einmal lesen reicht nicht, einmal hören wahrscheinlich auch nicht. Vielleicht sind sie überhaupt nicht richtig zu fassen, denn nach Goethe weissagt in Shakespeare ja die Natur höchstselbst.
Solche Hürden hielten weder Gabriele Näther noch Moritz Führmann davon ab, ein entsprechendes Programm unter dem Titel „Mein Leben ist ein Fieber“ zu produzieren. Die Idee war, Shakespeares Sammlung ausgewählte Sentenzen zu entnehmen, um „Liebe“ ins Verhältnis zu Menschen, zur Sonne, zum Tod oder zu Elisabeth I. zu setzen. Dazu interpretierte die Kammersängerin die unaussprechlich luftigen Airs von John Dowland im Original, meist im Mezzo-Sopran und mit zunehmender Schönheit. Der Erfolg in Oranienburg und im Potsdamer Schloss Lichtenau am Sonntagnachmittag schien den Künstlern auch Recht zu geben, zumal ihnen mit Frank Pschicholz (Laute, Barock-Gitarre, Theorbe) ein Musiker der Extra-Klasse zur Seite stand. Weil aber jener Insel-Gigant, ohnehin ziemlich dunkel, so schwer zu packen ist, hätte es gerade hier einer lenkenden Hand bedurft, um den poetischen Tiefgang des Dichters fürs Publikum fassbar zu machen. Der musikalische Teil mit Liedern und instrumentalen Intermezzi war sehr hörenswert und durchgegliedert: Zuerst die Laute zur sanften Begleitung, dann die Barock-Gitarre mehr als Rhythmus-Instrument, zuletzt die vornehme Theorbe oder Bass-Laute; mental ausgedrückt von ernst über heiter bis todtraurig. Das Literarische wirkte nicht so stringent. Moritz Führmann las mit lächelnden Lippen meist sitzenderweise aus seinem Skript, als handele es sich um Lehr-Sentenzen mit Aha-Effekt. Hier fehlte es an „Form“: Sein Verhältnis zum Text hielt sich indifferent, oftmals waren weder Absender noch Adressat erkennbar, so dass der Zuhörer – weder verbal noch schriftlich in das Thema eingeführt – nur festhalten konnte, was ihn augenblicklich packte. Auch szenisch hätte sich aus dem Material viel mehr machen lassen: Ein Sonett las Moritz Führmann stehend im Original, einmal nur wechselten die Interpreten zögernd die Plätze, sonst gab es nicht viel zu sehen. So huschten die Geister dieses T. T. fast wie Irrläufer durch den blässlich-charmanten Raum, aufgefangen durch die Sopranistin im Renaissance-Kleid, mehr von der konzentrierten Musik der Instrumente getragen als vom Propheten Shakespeare. Jedermann konnte prüfen, wie viel „Fieber“ in solch einem Lieben gewesen. Vier Vorhänge mit dankbarem Beifall, dazu eine schöne Reprise als Zugabe – vorbei. Eine weitere Aufführung soll es nicht geben. Schade, mit ein paar Zusatzproben (der Form wegen) zum Standard erhoben, könnte das Hans Otto Theater sehr wohl damit glänzen, auf dass der Schönheit Ros“ endlich fassbar – und unsterblich sei. Gerold Paul
Gerold Paul
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