Kultur: Nichts mit Utopie
Premiere von „Ein Schaf fürs Leben“ in Reithalle
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Ob ein Schaf nun wie ein Schaf aussieht oder wie eine barocke Putte, ist völlig egal, Hauptsache, es geht nicht mit dem Wolf spazieren. Wie gefährlich das sein kann, musste „Schaf“ Juliane Niemann am gestrigen Donnerstag bei der jüngsten Kindertheater-Premiere des Hans Otto Theaters in der Reithalle erleben. Ein ganz einsamer Wolf nämlich hatte unter der riesigen Wintersonne entsetzlichen Hunger. Zu seinem Glück entdeckte er den von Maritgen Matter eingerichteten Schafstall unter den Schnee- und Eisbahnen.
Die niederländische Stückeschreiberin hat ihn voller Tiere gesteckt, damit der böse Wolf mit seiner List das eine zum Erschrecken aller davonlocken kann. In der Potsdamer Inszenierung von Kerstin Kusch lebt „Schaf“ freilich allein im kalten Rund dieser von Regina Fraas gebauten Off-Bühne. Mutterseelenallein.
Es ist so naiv, dass es sich von den Reim- und Überredungskünsten des Wolfes (Peter Wagner war schon bei „Motte & Co“ herausragend) genauso schnell täuschen lässt wie von Silber und Gold. Ein Dummding eben. Nun würde sich ein hungerkluger Räuber gar nichts daraus machen, das arme Schaf gleich vor dem Stall zu reißen und (mit Basilikum und Kartoffeln im Geist) aufzufressen. Nicht so dieser Isegrimm! Seine theatralische Aufgabe besteht darin, die rosarote Wuschellocke immer tiefer in die eisige Einöde zu locken. Nicht, weil dort hinten irgendwo die schafsverführende Stadt „Erfahrung“ liegt, sondern weil aufkeimende Freundschaftsliebe das Gefressenwerden wieder und wieder verhindert. Das will der Stücktitel „Ein Schaf fürs Leben“ ja andeuten.
Hübsche Idee in dieser Haifischzeit, auch mal einen Wolf ins Leere laufen zu lassen, nicht bloß Schafe. In einem Anflug selbstmörderischer Großmut entschließt sich Graupelz sogar, lieber zu hungern als zu beißen. Eine Utopie „P 6+“? Theater darf das, nur sollte man seine Gesetze beachten.
So hübsch nämlich das Zusammenspiel der beiden Darsteller im fünfzigminütigen Kontext gewesen sein mag – besonders in den Szenen, in denen „Wolf“ ins Eis bricht und „Schaf“ den Erstarrten auf sehr witzige Weise wieder belebt, um dann mit ihm „Schlitten zu fahren“ – so bleibt die Inszenierung von Kerstin Kusch doch letztlich halbherzig. Sie interssiert sich mehr für die äußeren Stationen der gemeinsamen Reise über Schneeberge und Eistäler hinweg, als dass sie innere Konflikte gestaltete, den Streit zwischen Hunger und Schafs-Sympathie im Wolfsbauch zum Beispiel. Das führt zu Ungleichgewichten: einem gut gestalteten Isegrimm steht ein Schaf ohne dramaturgisches Profil gegenüber: Frei von Angst vor den hungrigen Augen und den Beißern des Grauens, keinerlei Erschrecken, wenn der Hungerlappen an ihm leckt und schnuppert und reibt – wohl nicht aufgepasst im Kinderschafschulstall, du dummes Ding?!
Abgesehen von der veräußerten Regievorgabe war ihr Spiel in einer Inszenierung der genauesten Gesten und vieler Details heiter, lebendig und leicht, also eine Freude der Premieren-Kinderschar. Eindrucksvoll vor allem Wolfs Hungertraum-Gesicht, als Schattenspiel in der Sonne gegeben: Was servierte ihm jener Kellner da? „Schaf“ mit Basilikum und Kartoffeln! Mit dem Grauen kam auch Läuterung, „Wolf“ schickte Wuschel heim. Nix mit „Schaf fürs Leben“, nix mit Utopie! Weil es hienieden ja doch nie etwas wird mit solchen Freundschaften, hungert „Wolf“ weiter, jeden Tag neu. Sein langes Geheul bei untergehender Theatersonne entließ den Zuschauer in den Mittag hinaus. Gerold Paul
Nächste Vorstellungen heute um 10 Uhr, am kommenden Montag um 10 und 14 Uhr, in der Reithalle, Schiffbauergasse
Gerold Paul
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