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Kultur: Nikolaisaal: Die Fingerakrobatik der Montero

Sie sei ein wenig abgespannt, habe in zwei Tagen drei Konzerte absolviert, sorry. Bevor sie sich im zweiten Teil ihres Klavierabends im ausverkauften Nikolaisaal der Kunst des Improvisierens zuwendet, englischplaudert die Venezolanerin Gabriela Montero ein wenig mit dem Publikum, fordert es auf, ihr Themen zuzusingen.

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Sie sei ein wenig abgespannt, habe in zwei Tagen drei Konzerte absolviert, sorry. Bevor sie sich im zweiten Teil ihres Klavierabends im ausverkauften Nikolaisaal der Kunst des Improvisierens zuwendet, englischplaudert die Venezolanerin Gabriela Montero ein wenig mit dem Publikum, fordert es auf, ihr Themen zuzusingen. Mit zugerufenen Stücktiteln wie Beethovens „Mondscheinsonate“ kann sie nichts anfangen. Sie muss die Melodien ins Ohr bekommen, dann gehen sie ihr auch in die zunächst präludierenden, gleichsam suchenden Finger, um sich dann in einem scheinbar ausschweifenden, dennoch wohlkalkulierten Strom der herrlichsten Einfälle auszuleben. Ein Talent, von dem sie von den Konzertpodien der Welt herab auf charmanteste Art kündet. Wie beim Konzert in der „Black & White“-Nikolaisaalreihe mit Meisterpianisten, die ihre Kunst „zwischen Klassik, Jazz und Improvisation“ zu offenbaren verstehen.

Nichts gegen die hinreißende Stegreifkunst von Gabriela Montero. Nur: was gegenwärtig von Medien als Sensation hochgespielt wird, gehört für die Berufsgruppe der Organisten und Cembalisten zur Grundvoraussetzung ihres Berufes! Wird davon eigentlich entsprechende Notiz genommen?! Dass Montero die Technik des Klavierspielens vorzüglich beherrscht, steht außer Zweifel. Also spielt sie im ersten Teil ihres Recitals klassische Piecen. Und scheint sichtlich nervös, bevor sie die Finger sprechen lässt. Sie nestelt an den Ärmeln ihrer schwarzen Seidenbluse, greift sich immer wieder durch die langen blonden Haare, dreht den Klavierhocker tiefer

Von dem reißt sie zunächst nichts. Harten Anschlags hämmert sie die ersten Takte von Ferruccio Busonis Bearbeitung der Bachschen Chaconne (aus der Sonate für Violine solo d-Moll BWV 1004), sucht für mancherlei Lyrismen nach dem adäquaten Ausdruck. Für den toccatischen Abschnitt zeigt sie die Pranke der Tastenlöwin vor. Hemmungslos bedient sie das rechte Pedal, um so den Romantizismen der Vorlage zu entsprechen. Zwischen abrupt hervorbrechenden, donnernden Fortissimoausbrüchen und nüchterner Verinnerlichung tastatiert sie ein monumentales und weitgehend orchestral empfundenes Klangpanorama. Auch in Frédéric Chopins Balladen As-Dur op. 47 und f-Moll op. 52 bevorzugt sie eine eher dramatische Sicht und keinen von Chopin geforderten sanften Erzählton, mit dem das As-Dur-Stück anhebt. Nach einer poetischen, chopinesken Spielweise, die von Leichtigkeit, Geschmeidigkeit und einem gewissen Maß an verschwimmenden Linien geprägt ist, hört man vergebens. Auch in der f-Moll-Dichtung bringt sie nicht viele Zwischenfarben zum Leuchten und Funkeln. Ihr prosaisches Spiel vermag kaum aufzuwühlen, die Hörfantasie zu beflügeln oder mit subtilsten Regungen aufzuwarten. In Claude Debussys „L“isle joyeuse“ entfesselt Montero ein fingerakrobatisches Tastenfeuerwerk.

Auf diese „Insel der Fröhlichkeit“ entführt die Pianistin dann nach der Pause. Eine ihr zugesungene russische Estradenmelodie kleidet sie in eine Bachsche Fuge ein, Gershwins „Summertime“ findet sich gar in Debussyscher Umarmung wieder und klingt sehr nach dessen „La Cathedrale engloutie“. Ein Sinfonie-Thema von Beethoven wird raffiniert verjazzt, der „Superstar“-Poptitel in Mozartscher Manier köstlich umgemodelt. Den Mey-Titel „Über den Wolken“ singt ihr ein Publikumschor entgegen. Die Antwort weiß allein – Chopin. Das Vergnügen ist groß, der Beifall riesig.Peter Buske

Peter Buske

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