Kultur: Nobelpreis-, Booker- und Deutscher Buchpreisträger
Der „Literarische Salon“ widmete sich wieder ausgewählten Neuheiten auf dem Buchmarkt
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Das Ambiente ein wenig karibischer, der Abend ein wenig sektlauniger – so sollte sich der am vergangenen Sonntag bereits in seine vierte Runde gehende „Literarische Salon“ gestalten. Gastgeber Oliver Geldener und seine kurzfristig auf zwei geschrumpften Gesprächspartner – die Kabarettistin Gretel Schulze und der Buchhändler Carsten Wist – hatten offensichtlich die Lektüre der vier zur Diskussion stehenden, sehr preislastigen Neuerscheinungen der Literaturszene genossen. Hier trafen sich Nobelpreis-, Booker- und Deutscher Buchpreisträger und rangen um die Sympatie des doch recht zahlreich erschienenen Publikums.
Der Einstieg in der Reithalle gehört Eugen Ruge mit seinem Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, für den er den Deutschen Buchpreises erhalten hat, vergeben auf der Frankfurter Buchmesse, die nur wenige Stunden vorher ihre Tore geschlossen hatte. Die Wahl des Preisträgers kam für alle drei Kritiker etwas überraschend, hatte doch Uwe Tellkamp mit seinem ebenfalls preisgekrönten „Turm“ bereits das Thema DDR-Geschichte erschöpfend behandelt.
Jetzt also wieder eine Auseinandersetzung mit ostdeutscher Geschichte, stark autobiografisch eingefärbt und, so Carsten Wist, besonders reizvoll aufgrund der Konstruktion, dem spotlighthaften Erinnern von vier Generationen, niedergeschrieben mit Lakonie und emotionaler Distanz. Alle drei feierten den Roman nicht so euphorisch wie die Presse, fehlt doch vor allem in der Mexiko-Passage das narrative Talent. Hier, in diesem farbenfrohen Land, macht sich der Enkel auf, um die Geschichte der Großeltern zu rekonstruieren. Diese Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte gerät, so die einhellige Meinung, etwas zu blass. Trotzdem sprach die kritische Jury dem Autor ein großes Schreibtalent zu.
Dieses, so einstimmig, fehlt der nächsten Autorin. „Schoßgebete“ heißt der neue Roman der als Moderatorin bekannt gewordenen Jungautorin Charlotte Roche, und erzählerisch gehe der eigentlich gar nicht. Trotzdem gab es keinen totalen Verriss. Für Gretel Schulze war diese sehr persönliche Auseinandersetzung mit Schicksalsschlägen, Beziehungs- und Erziehungsfragen keineswegs Schweinkram oder Igittigitt. Der Beginn und das Ende – na ja, aber in der Mitte, da stößt die Autorin Denkprozesse an, das fand auch Buchhändler Carsten Wist.
Weniger streitbar, und das betonte vor allem Gretel Schulze leidenschaftlich, ist der neue Roman von Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa. In „Der Traum des Kelten“ wird die Geschichte des irischen Unabhängigkeitskämpfers Roger Casement erzählt. Dieser Roman, so die Kabarettistin, ist kein historischer Roman, spricht er doch die Problematik des immer noch existierenden Kolonialismus an. Dieser einerseits in die persönliche, akribische und manchmal als Leser kaum zu ertragende Erinnerung Casements während des Aufenthaltes in der Todeszelle und andererseits in die politische Auseinandersetzung mit dem Thema der Kolonialisierung aufgesplittete Roman leistet wichtige Aufklärungsarbeit und steht in totalem Kontrast zu dem letzten Buch der Runde, dem mit dem Booker-Preis ausgezeichneten Roman „Die Finkler-Frage“ von Howard Jacobson, das, absolut nicht nacherzählbar, von jüdischem Witz und Chuzpe nur so strotzt.
Carsten Wist sprach mit einem feinen Lächeln von den sich häufenden „politischen Unkorrektheiten“ des Buches, in dem der 49-jährige Brad-Pitt-Imitator Julian Treslove sich die Frage stellt „Wann ist ein Jude ein Jude?“. Der Autor versteht es, zwischen Antisemitismus und Zionismus zu „switchen“, zeigt zwischen all der Provokation auch ernsthaft die aktuelle Situation Israels auf, um dann aber wieder über die Vorhautproblematik zu spaßen. Diese kleine Frivolität nahm die Kritikerrunde mit Vergnügen aufs Korn und philosophierte über den Sex als Beschnittener. Der Sekt hatte wohl seine Wirkung getan! Andrea Schneider
Andrea Schneider
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