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Kultur: Noch nie ein Nashorn gesehen?

Von Klischees geprägt: „Von Schlössern und Schlaatzen“ / Eine Uraufführung am Schlaatz

Stand:

Dass das Amphitheater am Bürgerhaus im Schlaatz – wenn es an einem frischen Frühlingsabend wie am Samstag bespielt wird – tatsächlich so etwas wie eine Schlaatzer Mitte darstellt, war eine neue Erfahrung. Zwar waren zur Uraufführung des Stücks „Von Schlössern und Schlaatzern I“ wohl nur wenige zahlende Schlaatzer gekommen – nach Schätzungen einer Schlaatzerin außer dem Pfarrer noch drei weitere „Einheimische“ -, aber immer wieder schauten aus den umliegenden hohen Häusern Menschen auf das seltsame Schauspiel, das sich ihnen da unten bot. Und vom Rasen her kamen nicht nur Nashörner, die in dem Stück eine gewisse Rolle spielten, sondern auch viele (afrikanische) Kinder, die sich am Geländer festhielten. Also war die Auswahl des Ortes tatsächlich eine integrative Leistung des Jungen Theaters des HOT, das mit diesem Projekt eine heikle Potsdamer Frage thematisiert: die Reichen residieren am Heiligen See in ihren Schlössern gegenüber den Königsbauten und die Armen wohnen in kastenförmigen hohen Zweckbauten am Rande der Stadt.

„Es ist wunderbar hier“, sagte irgendwie trotzig eine ältere Potsdamerin, die schon seit den achtziger Jahren da wohnt und nicht akzeptieren will, dass „hier alles schlecht“ ist. Aber das war wohl die Ausgangshypothese für Autor Thomas Freyer, denn „wir sind weg, ganz schnell weg“ ist eines der Mottos des Stückes.

Dass bei einer solchen Thematik die Gefahr des Klischees in allen Hochhäusern steckt, ist eigentlich nicht verwunderlich. So sind die Figuren ausnahmslos auf der Seite der Verlierer – und es ist die Frage, ob sich die Bewohner des Viertels damit einverstanden erklären: Da gibt es Monika (Ulla Schlegelberger), die am Sonntag auf den Besuch ihrer inzwischen in München lebenden Tochter wartet, aber nicht die Kraft aufbringt, sie vom Zug abzuholen. Stattdessen bleibt sie in der unaufgeräumten Wohnung im Bett liegen, verschläft das Klingeln und erkennt die eigene Tochter vor ihrer Wohnungstür nicht. „Eine Fremde liegt vor meiner Tür", sagt Monika, die mit ihrer schwarzen Perücke und den quietschgelben Leggings wie ein Zombie durch die Kulisse läuft. Johanna (Jenny Weichert) ist in der achten Klasse und neu im Schlaatz, ihre Mutter in Spanien und ihr Vater trinkt lieber ganz viel Schnaps, anstelle Arbeit zu suchen. Er (Peter Wagner) kotzt auf ihre Schuhe und wirft sich später aus dem Fenster. „Ich bin ausgeflogen“, hinterlässt er auf einem kleinen Zettel. Schließlich gibt es den traurigen Henry (Alexander Weichbrodt), der wieder zurückgekommen ist, weil seine Nicole ihn verlassen und er die Arbeit verloren hat – und Reiner (Matthias Hörnke), ein einsamer Witwer, der das Braten von Lammkeulen nicht lassen kann und verzweifelt – auch mittels Schnaps – nach Essengästen ruft. Das Stück ist nach dem Seifenopern-Muster geschrieben, mal wird mit Reiner gekocht, dann steht Johanna auf dem Dach und sucht ihren Vater, dann sitzen Henry und seine Eltern am Kaffeetisch, dann wieder liegt Monika auf ihrem angedeuteten Bett – kleine Gags bringen etwas Witz in die Untergangsszenerie: so die Pfannkuchen von Reiner, die als Lammkeule verspeist werden oder eine veritable Dietsche-Kneipenszene (der Johanna-Papa im zerrissenen Bademantel) mit einem – natürlich – deutschtümelnden Nazi.

Absurd wurde es mit den beiden Nashörnern, die aus dem Nichts kommen und die Menschen anschauen, als haben sie so etwas noch nie gesehen. Am Ende schwang sich das Stück in metaphorische Gefilde – da kommt das Wasser, das Johanna erschreckt, aber alle anderen kalt lässt, als ob sie es nicht sehen würden. „Das Wasser steht uns immer wieder bis zum Hals“, sagt trocken der neue Freund Johannas, die sich auch bald daran gewöhnen wird, wie sich alle an alles gewöhnen – im Schlaatz. Zumindest in der Vorstellung des Autors, und die ist sehr Klischee geprägt.

Lore Bardens

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