Kultur: Nonsens mit Tiefgang
Ahne las, sang und trank im Waschhaus
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Ahne ist ein Unikum. Wenn man ihn vor sich sieht, fällt einem am wenigsten ein Literat ein, sondern würde man ihn eher in einem Fußballstadion verorten: Jeans, Dr.-Martens-Schuhe, Kurzhaarschnitt, Koteletten und Fred-Perry-Poloshirt hätten ihn wohl in der benachbarten Waschhaus-Arena zum gleichzeitig stattfindenden „Deutschrock“-Konzert zu einem unauffälligen Gast gemacht. Aber nein, Ahne stand auf der Bühne des Saales und las seine Texte ab, allen voran die durch Radio Eins bekannt gewordenen „Zwiegespräche mit Gott“.
„Ahne liest, singt und trinkt“ war angekündigt worden, und genau das tat der Berliner auch. Wobei das Singen weniger mit Musik zu tun hatte und auch das Trinken weniger mit dem Vernichten von Limonade. Ahne hielt sich an die grünen Flaschen mit Bier Pilsener Brauart und beließ es nicht nur bei einer. Und wahrscheinlich hätte er mit diesem Auftritt auch besser in einen alternativen Laden wie das „Archiv“ gepasst, mit seinen textlichen Bezügen auf die Hausbesetzer-Szene und kabarettistisch-sozialkritischen Ergüssen.
Punkten konnte Ahne am besten mit Dialogstärke, Lokalkolorit, einem beeindruckenden Auseinandernehmen der deutschen Sprache sowie imposanten Hakenschlägen in der Erzählweise. Seine Texte hatten teilweise Max-Goldt-Qualität, kein Trallala und keine seichte Unterhaltung waren da zu hören, sondern geballte Gesellschaftskritik unter dem Deckmantel unterhaltsamer Harmlosigkeit. Und genau das war Ahnes ausgesprochene Stärke: Naivität im Gewand des Dilettantismus. Doch in seinen Texten verbarg sich eine Bissigkeit, die oftmals erst nach mehrmaligem Hören erschlossen werden konnte. Da wurde derart mit Konjunktiven und Absurdem jongliert, dass die Überraschungen nur so auf einen einhagelten; Erschrecken, unerwartete Kapriolen und klimaktische Aufwärtsspiralen, die oft genug zu unerwarteten Erkenntnissen führen konnten, gehörten zum Repertoire des Straßendichters.
Und auch rein optisch war Ahne eine regelrechte Augenweide: Mit dem Starren eines Irren und der für Slam-Poetry typischen Prosodie mit regionalem Einschlag verballhornte Ahne seine eigene ADHS-Literatur. Da wurden hermeneutische Zirkel zu Mineralwasser namens „Carat“ geführt, natürlich nicht ohne auf die gleichnamige DDR-Band anzuspielen, die eigene Biografie auf die Schippe genommen und sogar Außenpolitik kam nicht zu kurz: Man könne ja Griechenland vermieten und in „Facebook“ umbenennen, schlug er vor, oder fragte sich, warum am 8. März nicht Frauen saufend durch die Straßen ziehen und Männer in die Spree werfen. Für die Männerwelt hatte er auch gleich einen Ratschlag parat: Endlich mal wieder weinen dürfen! „Lass die Zwiebel stecken, Mutter, das kann ich von allein.“ Helge Schneider ließ grüßen, und das nicht nur einmal.
Und auch das Publikum dankte Ahne diese großartige Unterhaltung, wobei die älteren Kaliber oftmals ungläubig verharrten: Wer denkt sich nur so einen Quatsch aus? Mit Bierflasche, Kopflampe und schelmischem Grinsen war er jedenfalls meilenweit von herkömmlicher Literatur entfernt, doch die wurde ja gar nicht erst beabsichtigt. Und sein Gesang, der mehr A-capella-Punkrock war, passte auch hervorragend zu Ahnes Programm. Fast ein wenig bescheuert, was da geboten wurde: Rotkäppchen und der „böse Wulff“, verlegt auf den Flughafen nach Bilbao, wo Rotkäppchen „Kerosinien pflückte“, eine Anti-Fluglärm-Initiative startete und der böse Wulff von der „Hexe Bunsenbrock“ in einen ehemaligen Bundespräsidenten verwandelt wurde. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
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