Kultur: Nordisch
Norwegisches beim Neuen Kammerorchester Potsdam
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Nordischer Musik hafte etwas Geheimnisvolles, Kühles und Herbes an – so noch immer eine weitverbreitete Meinung. In den Klängen des Finnen Jean Sibelius sängen die Wälder, Seen und Sagen ihr unendliches Lied, in denen des Norwegers Edvard Grieg neben Geschichte auch Volkspoesie und Alltagsleben. Doch beiden Tonsetzern ging es mit ihren Werken auch um Nationalbewusstsein und -kultur. Die dritte Etappe ihrer zweijährigen musikalischen Europareise führte das Neue Kammerorchester Potsdam nun ausschließlich zu jenem norwegischen Komponisten, der sich im Land der Fjorde und Trolle bestens auskennt. Und in den Bergen. In der gleichnamigen Stadt am Rande Europas wurde er geboren und starb auch dort. Kein Wunder also, dass Griegs Musik oft von Seefahrerromantik und Fischeralltag erzählt: „In meiner Musik gibt es sowohl Dorsch als auch Seelachs.“
Doch nicht als Fischhändler, sondern im Barockkostüm stellt er sich zu Beginn der (Klang-)Begegnung im ausverkauften Nikolaisaal vor. In der Suite im alten Stil „Aus Holbergs Zeit“ für Streicher erinnert er an den norwegischen Dichter Ludvig Holberg, als „Molière des Norden“ hoch gerühmt. Barocke Tanzformen à la française wie Gavotte und Rigaudon dienen dabei quasi der kostümlichen Umhüllung. Mit klanglichem Anstand trägt man unter Leitung von Ud Joffe die eleganten Roben. Federnd tänzelt und wispert es aus verwinkelten Ecken heraus, dann wieder tönt es feinsinnig, leise, elegisch, mit romantischem Espressivo. Nirgends wird mit Zopf und Puder musiziert.
Der Ton bleibt auch schlank, nachdem man sich für „Zwei nordische Weisen“ op. 63 ein bäuerisches Gewand angelegt hat. In der ersten, „Im Volkston“ genannt, geht es episch und klangdüster zu, scheinen graue Nebelwände aus Bergschluchten aufzusteigen. Da singen die Musiker mit Hingabe, aber kontrolliert analytischem Blick von sehnsuchtsvollem Empfinden. Von deftigem Landleben erfüllt sind „Kuhreigen & Bauerntanz“, von herber, aber temperamentvoller Solovioline (Wolfgang Hasleder) umspielt. Dann führt der Dirigent zu „Peer Gynts Frauen“, die dem 3. Sinfoniekonzert als entsprechendes Motto dienen. Es handelt sich dabei um Gestalten aus Ibsens „Peer Gynt“-Schauspiel, die von Grieg in farbenreiche und handlungsassoziierende Klänge gehüllt sind. Grelle Akkorde leiten „Ingrids Klage“ ein, nachdem sie vom Titelhelden bei einer Dorfhochzeit geraubt worden ist. Leider nur wenig aufreizend will dagegen „Anitras Tanz“ gelingen, mit dem die arabische Häuptlingstochter Peer umgarnen will. Nachdem der Abenteurer nach Lebens- und Meeresstürmen zu seiner treu harrenden Geliebten zurückgefunden hat, singt Solveig ihm ein berührendes Lied von Liebe und Tod. Entkitscht erklingt dieser Hit. Weggelassen dagegen ist „Åases Tod“, der vom Sterben von Peers Mutter berichtet.
An Åases Stelle führt Joffe nun als vierte Frau die amerikanische Pianistin Claire Huangci ein, die erst neben der Harfe sitzt und dann zu den letzten Takten von Solveigs Lied an den Steinway schreitet, um nahtlos das a-Moll-Klavierkonzert anzufügen. Ihr kräftiger, dann wieder lyrischer Ton ist vorzüglich in den schlackenlosen Orchesterklang eingebettet. Der hört sich vor allem im dritten Satz bisweilen straff bis ruppig an, und auch auf der Klaviatur geht es mitunter lisztdonnernd zu. Doch die Poesie darf sich in pastellenen bis pastosen Farben offenbaren. Nach pathetischem Finale folgt stürmischer Beifall – sozusagen als Butter bei die Fische. Peter Buske
Peter Buske
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