Kultur: Nüchtern
Richard Wagner über „Der Deutsche Horizont“
Stand:
Morgen lädt das Brandenburgische Literaturbüro den in Berlin lebenden Schriftsteller Richard Wagner ins Huchel-Haus in Wilhelmshorst ein. In seinem Buch „Der Deutsche Horizont – vom Schicksal eines guten Landes“ (Aufbau-Verlag) sucht Wagner nach einem neuen Selbstverständnis der Deutschen. Der Banat-Deutsche Wagner musste aufgrund eines Publikationsverbots 1987 mit seiner damaligen Ehefrau, der Schriftstellerin Herta Müller, seine rumänische Heimat verlassen. PNN kam mit Wagner ins Gespräch.
Sie sind 1952 geboren und haben bis 1987 Deutschland aus der Distanz des Banat beobachtet. Können Sie kritischer mit den Deutschen und ihrer Geschichte umgehen?
Kritischer ist vielleicht nicht das richtige Wort, nüchterner wäre besser. Es kommt nicht darauf an, die Charts der Kritik anzuführen sondern die wesentlichen Fragen anzusprechen.
Sie suchen in ihrem Buch nach neuen Gründungsmythen und sagen darin, „eine Nation lässt sich nicht am Massengrab aufstellen, jedenfalls nicht mit dem Gesicht zur Zukunft.“ Ist die deutsche Demokratie nicht gerade wegen der lebhaften Auseinandersetzung mit seiner NS-Vergangenheit so erfolgreich?
Das ist unbestritten so, doch es ist längst alles gesagt, das Meiste jedenfalls. Inzwischen ist die Thematisierung der NS-Vergangenheit Teil des Infotainments geworden. Sie dient bestenfalls der kollektiven Entlastung.
Sie berufen sich auf einen „guten Rest“ in der Vergangenheit des Landes. Was gehört für Sie dazu?
Sehr viel, mehr als ich hier auflisten könnte. Nur ein paar Beispiele: Bonifatius, die Fugger, Melanchthon, das Preußen Friedrichs II., Königin Luise, 1848 und die Paulskirche, Porsche, Max Weber, Marlene Dietrich, Thomas Mann.
Es gäbe die 50er Jahre „jenseits des Muffs“, sagen Sie. Hat Peter Kraus in der Frage des Antifaschismus wirklich mehr geleistet als die Kommune 1?
Peter Kraus war der Adenauer des Rock“ n“ Roll, er hat wesentlich zur Verwestlichung, zur Entkrampfung der Alltagskultur beigetragen. Die Freizügigkeiten hingegen, die die Kommune 1 propagierte, waren von Anfang an mit totalitären politischen Ideen vermischt. Dass Uschi Obermaier, die Heidi Klum des Flower-Power, zur Revolutionsikone werden konnte, sagt im Grunde alles.
Duzen halten Sie für eine Unsitte, die von den krawattenlosen Alt-68ern über die halbe Nation gebracht wurde. Hat die Kritik des Autoritären nicht auch zu mehr Freiheit geführt?
Die 68er haben einen stinknormalen Generationenkonflikt mit großem Erfolg politisiert und die bereits in Gang gekommene Modernisierung der Gesellschaft souverän sich selbst zugeordnet. Entscheidend ist, dass sie das Autoritäre mit der Autorität verwechselt haben. Eine Gesellschaft kann aber nicht ohne Autorität funktionieren.
Ihr Urteil, etwa über die maßlose „Selbstüberschätzung“ der 68er, den DDR-Staat oder das rot-grünen Projekt von Schröder ist provokativ. Wie ist Ihr Buch von Kritik und Publikum aufgenommen worden?
Franziska Augstein hat mich in der Süddeutschen Zeitung im Clara-Zetkin-Ton abgekanzelt, sonst herrscht bisher Schweigen. Das Publikum dagegen erwies sich als sehr interessiert.
In Ihrem Buch finden sich wunderbare essayistische Miniaturen, etwa über den deutschen Imbiss. Hilft die Currywurst dem Deutschen bei der Suche nach sich selbst?
Da die Suche der Nation nach sich selbst eine Inventur des Bestehenden erfordert, kann die Konfrontation mit der Currywurst durchaus hilfreich sein. Man stelle sich bloß vor, Caspar David Friedrich hätte eine Currywurst auf den Kreidefelsen mitgenommen.
Was bedeutet Ihnen die Musik Ihres großen Namensvetters – hilft sie, „was die Deutschen sind“, zu verstehen?
Das Problem ist wohl, dass die Deutschen in allem mehr sehen, als darin zu sehen ist. So ist auch Wagner mehr als seine Musik, er ist Bayreuth. Wer das erklären kann, weiß plötzlich auch mehr über die Deutschen.
Was ist Ihr „Traum von Deutschland“?
Mein Traum von Deutschland ist, dass das allgemeine Jammern aufhört und dass es mit der Selbstzensur, die von der politischen Korrektheit verlangt wird, ein Ende hat.
Interview: Matthias Hassenpflug
12. Mai, 20 Uhr, Peter-Huchel-Haus, Hubertusweg 41, Wilhelmshorst
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: