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Kultur: Nur der Gewinn, der Sieg zählt Bernd Geiling las aus „Johann Holtrop“

Die Lesung aus dem Roman „Johann Holtrop“ in der Reihe „nachtboulevard late show“ des Hans Otto Theaters am Wochenende war mit ihrem Beginn um 21 Uhr sicherlich mehr „late“ als „show“, aber gut war sie trotzdem, obwohl nicht einmal 20 Zuhörer gekommen waren. Vielleicht kannte der etwas größere, zu Hause gebliebene Rest von Potsdam den so erfreulich kantigen Schriftsteller Rainald Goetz nicht, vielleicht kam auch nur gerade die „Sendung des Jahres“ im Fernsehen.

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Die Lesung aus dem Roman „Johann Holtrop“ in der Reihe „nachtboulevard late show“ des Hans Otto Theaters am Wochenende war mit ihrem Beginn um 21 Uhr sicherlich mehr „late“ als „show“, aber gut war sie trotzdem, obwohl nicht einmal 20 Zuhörer gekommen waren. Vielleicht kannte der etwas größere, zu Hause gebliebene Rest von Potsdam den so erfreulich kantigen Schriftsteller Rainald Goetz nicht, vielleicht kam auch nur gerade die „Sendung des Jahres“ im Fernsehen.

Rainald Maria Goetz wurde 1954 in München geboren, er studierte Medizin, Geschichte und Theaterwissenschaft. Seine Erfahrungen als Arzt in der Psychiatrie kam nicht nur seinem doppelsinnigen Roman „Irre“ zugute. Auch „Johann Holtrop“, ein schonungsloser Blick in das wirtschaftlich-gesellschaftliche Getriebe der Nachwendebundesrepublik Deutschland, bekam damit zu tun, allerdings auf gruselig-destruktive Weise. Das im Herbst erschienene Buch spielt in der Chefetage eines großen deutschen Druckmaschinen-Konzerns, dessen Vorstandsvorsitzender die Titelfigur ist. Holtrop weiß zu führen, zu lenken, zu intrigieren, ein Pragmatiker und Nutzanwender par excellence, der keine Gelegenheit auslässt, seinem Laden Gewinne zu verschaffen und sich selbst ins beste Licht zu setzen. Goetz zeichnet keine Karikatur seines betrieblichen und gesellschaftlichen Wirkens, dieser Mann ist selber eine Karikatur von allem, was Menschsein, Mitmenschlichkeit und Herzensgüte bedeutet. Der Gewinn zählt, der Sieg, alles andere wird verachtet. Das Kapital hat ihn sozusagen voll im Griff.

Der Autor zeigt Johann Holtrup zu Beginn des Buches im Zenit seiner Macht, als er einen „Looser“-Kollegen hinausexpediert, der dann Selbstmord verübt. Am Schluss füllt er dieselbe Rolle aus. Dazwischen brilliert, manövriert und intrigiert seine Selbstherrlichkeit ganz nach Belieben, was Rainald Goetz in seinem boshaften Dräuen reichlich Gelegenheit gibt, die deutsche Gegenwartsgesellschaft rundum zu teeren und zu federn. Sogar der obereitle Altkanzler Gerhard Schröder bekommt hier seinen Teil ab.

All das ist mit grimmig-scharfem Geist gedacht und mit einer Feder geschrieben, welche den Vergleich mit der Sprachqualität eines Thomas Mann nicht zu scheuen braucht. Die Schreibe von Goetz ist da sogar kräftiger. Sie hat etwas so zwingend Singuläres, dass man sich Holtrops Aufstieg und Fall, die Geschichte von Macht und Ohnmacht, unmöglich in einer anderen Tonart vorstellen könnte. Ein brillantes Sittenbild dieser Gesellschaft, ein exzellentes Psychogramm aus der Chefetage mit leichtem Anspruch auf Allgemeingültigkeit, eine durch und durch glaubhafte Schilderung, wie systematisch und gründlich die heutige Psychiatrie einen Menschen zerstören kann, bis er sagt: „Es ist vorbei!“ Und dann als tragischste aller Figuren ausgerechnet vor eine Lokomotive stürzt.

Sehr beeindruckend, dieses Buch, sehr beeindruckend, die Lesung von Bernd Geiling. Hörbuch-Qualität, teils im Galopp vorgetragen. Sehr intensiv, sehr zynisch, sehr elastisch, sehr melodisch, sehr prononciert. Er machte das Reich aus herzloser Kälte spürbar, den Preis, den man zahlt für Reichtum und Ruhm. Kurze Verbeugung nach 75 Minuten. Applaus. Und vorbei. Gerold Paul

Gerold Paul

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