Kultur: Nur der Inhalt zählt
Der sozialkritische Filmemacher Ken Loach mit Andreas Dresen im Filmmuseum
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Der sozialkritische Filmemacher Ken Loach mit Andreas Dresen im Filmmuseum Von Moritz Reininghaus Ein älterer Herr mit ergrautem Haar, eckiger Brille und blauem Hemd stand am Donnerstagabend im Filmmuseumskino und drückte sich schüchtern an die blaue Seitenwand. Ehrfürchtig lauschte er den Lobreden auf Ken Loach. Als einen der größten britischen Filmemacher unserer Tage bezeichnete Elke Ritt vom British Council den Regisseur. Der Potsdamer Filmemacher Andreas Dresen nannte ihn gar einen der wichtigsten Vertreter des sozialkritischen Kinos überhaupt. Wäre neben dem Herrn im blauen Hemd, der stetig auf den Boden blickte, nicht eine Dolmetscherin gestanden, wäre man wohl kaum darauf gekommen, dass er es war, dem die Lobreden galten: Ken Loach. Einem der wichtigsten Vertreter des sozialkritischen Kinos überhaupt. Zurückhaltung ist das Attribut, das man ohne weiteres auf Ken Loach anwenden kann. Wenn etwa Andreas Dresen bemerkte, dass Loach „völlig uneitel“ sei, meinte er damit nicht nur das persönliche Auftreten, sondern vor allem die Arbeit des Regisseurs: „Er stellt den Inhalt seiner Filme über die Form, nimmt sich selbst vollkommen zurück.“ Deshalb sind Loachs Filme, in denen immer Menschen, und nichts als Menschen, im Mittelpunkt stehen, konsequent durch wenige Schwenks und Fahrten mit der Kamera gezeichnet. „Ich hasse Weitwinkelobjektive, weil sie die Menschen in Objekte verwandeln“, führte Loach seine optischen Vorstellungen anhand des gezeigten „Just A Kiss“ aus. Um möglichst viel an menschlichen Regungen auf die Leinwand zu retten, drehte er die Szenen in chronologischer Reihenfolge ab, verriet seinen Darstellern oft nicht, wie das Drehbuch weiterging. Ken Loach antwortete auf Andreas Dresens Fragen mit Bedacht, aber ausführlich, erzählte von seinem Weg aus einer Arbeiterfamilie nach Oxford, wo er Jura studierte, um dann „als wahrscheinlich schlechtester Schauspieler Großbritanniens“ über das Theater zu Fernsehen und Film zu kommen. Immer wieder blitzte der Humor auf, der bei allem Ernst auch seine Filme prägt. So habe er aus Geldnot auch Werbespots für Bier gedreht, „glücklicherweise sehr schlechte“. In den 70er Jahren, als sich die Illusion zerstört habe, die Sozialdemokratie agiere zum Wohl der Unterprivilegierten, habe er wie viele vor der Frage gestanden: nach links oder nach rechts? Er hat sich für den linken Weg entschieden. Als er auf die 80er Jahre mit Margaret Thatcher, Massenarbeitslosigkeit und eigener Schaffenskrise zu sprechen kam, redete Loach noch ein wenig leiser als sonst: „Eine schlechte Zeit für mich – für alle“. Heute sei es schwierig, soziale Belange zu thematisieren, da etwa durch Zeitarbeit die Organisation der Arbeiter fast unmöglich sei, soziales Elend verschleiert werde. Als er ansprach, dass es deshalb wieder Menschen gibt, die 20 Stunden am Tag arbeiten, machte er deutlich: Kritische Filme braucht diese Zeit mehr als jede andere. Daher war Ken Loach in den 90er Jahren produktiver denn je. Und er richtete seine Kamera auf die Brennpunkte dieser Welt. Wenn er in „Bread and Roses“ das Leben illegal eingewanderter Putzfrauen in Los Angeles darstellte. Oder wenn er auf die Folgen des neuen Kolonialismus hinweist, den er als „Krieg gegen den Terror“ bezeichnet. In seinem Beitrag zu „11''09''''01 - September 11“, erinnerte er an den 11. September 1973, als sich Pinochet in Chile mit amerikanischer Unterstützung blutig an die Macht putschte. Inzwischen nimmt er die Folgen der „illegalen und auf Lügen aufgebauten Kriege“ in Afghanistan und Irak in den Sucher. Dazu kann er in Großbritannien bleiben, wo sich ebenfalls viele Muslime mit der Gleichsetzung von Islam und Terrorismus konfrontiert sehen. Was die Wirkung seiner Filme angeht, ist Ken Loach mehr als zurückhaltend. Um wirkliche Veränderung zu erwirken, brauche es mehr als Einzelschicksale auf Celluloid.
Moritz Reininghaus
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