zum Hauptinhalt

Kultur: Nur im Original

James Bade sprach über „Fontanes Landschaften“

Ein Jungverliebter sitzt in einem Berliner Cafe und blickt aufs Wasser. Er sieht, wie ein Dampfboot gegen die Strömung fährt. An der Liebesinsel mitten im Fluss legt es nicht an. So wird es auch um seine Liebe zu Corinna bestellt sein, sagte der neuseeländische Literaturwissenschaftler James Bade in einem glanzvollen Vortrag über die inneren und äußeren Landschaften Fontanes in der Villa Quandt. Leopold, der Jungverliebte, wird gegen die Dominanz seiner Mutter Jenny Treibel ankämpfen müssen, das Boot hält bei der Insel trotzdem nicht, und mit dieser Liebe wird es so schnell vorbei sein, wie der Dampfer hinter dem Eiland verschwindet.

So also kann man Fontane auch lesen, mit einem inneren Auge, symbolisch. Der weißhaarige Professor aus Oakland ist nicht allein seinen Spuren, sondern sogar seinen Schritten gefolgt, wenn es um die Beschreibung einer Ortslage, einer Straße in Berlin oder um die verschlüsselte Landschaft bei „Schach von Wuthenow“ geht, die ein Schloss beschreibt, wo nie eines war. „Wir fangen zu Hause immer bei den Landschaften an“, erzählte der temperamentvolle Referent. Zuerst sie, dann die dazugehörenden Motivketten, dann das Sujet. „So machen wir das!“.

Wenn es um sie geht, benutzt Bade stets das Wort „landscape“ (Landschaft), nie „setting“, was Schauplatz bedeutet und weniger ist. Anhand solch innerer Spurensuche bei „Frau Jenny Treibel“ und „Irrungen, Wirrungen“ sowie „Effi Briest“ bereitete er dem zahlreich erschienenen Publikum am Dienstag im Fontane-Archiv eine nachdenklich-spannende Stunde. Er unterscheidet Landschaften der Pflicht und Landschaften der Freiheit.

Erstere verkörpert vor Fontanes innerem Auge die Stadt, Berlin, wo Glocken „Treu und Redlichkeit“ einfordern, wo jede Kirche ihre eigene Bedeutung bekommt. Eine Spree-Kaskade zum Beispiel kündigt den Übergang von ruhigen zu bewegten Wassern im Sujet an. Corinna wird durch ihre Liebe zu den beiden himmelwärts strebenden Türmen von St. Nikolai charakterisiert, die turmlos schwere Parochialkirche nebenan deutet auf Pflicht, sie wird Marcell, dem zeitweiligen Liebhaber Corinnas, zugewiesen. Außerhalb solcher Urbanität sind die Landschaften der Freiheit. Sie beginnen bereits in Stralau, bei einem Spaziergang zur abgelegenen Dorfkirche in Zehlendorf, hier fühlen sich Botho und Lene trotz aller Irrungen frei. Oder j.w.d. in Hankels Ablage. Auch der gemeinsame Ausflug zum Halensee in „Jenny Treibel“ hält viele Überraschungen in Sachen Freiheit bereit: Eine Gruppe geht den linken Uferweg, die andere den rechten, einer führt zum Erfolg, der zweite zum Scheitern.

In Fontanes Romanen treffen Pflicht und Freiheit dann als „Kontrastlandschaften“ aufeinander. In Seattle, USA, woher er eben kommt, habe man sein Buch über Fontanes Landschaften mit Wohlwollen aufgenommen, berichtete James Bade. Seine Studenten in Neuseeland wollten um des Deutschen willen angeblich stante pede Berlin und Brandenburg entdecken. Da tut sich was in der Welt. Bei Fontane habe alles etwas zu bedeuten, wer könnte heute noch so schreiben? Thomas Mann probierte es im „Zauberberg“ mit wenig Erfolg dafür seien die „Buddenbrooks“ ganz im Geiste Fontanes verfasst, sagte Bade. Dass seine eigene Schwester den Autor nicht mag, versteht James Bade. Der Neuruppiner schreibe zwar „so herrlich vielschichtig“, doch übersetzen lasse sich immer nur eine Ebene. „Fontane, das geht wirklich nur im Original!“ Gerol Paul

Gerol Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false