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Kultur: Nur Mauer, Stacheldraht und Stasi?

Zwanzig Jahre nach dem Fall der „Berliner Mauer“ hätte man sich eigentlich schon dieses Anlasses wegen intelligentere Botschaften von den Klugen und Mächtigen erhofft als das, was in diesen Tagen im festlichen Unisono mitgeteilt wird: Schon interessant, wenn von einem weltweit anerkannten Ländlein oft nur die Kürzel „Mauer, Stacheldraht und Stasi“ übrigbleiben. Wie es die Alten „sungen“, so ist dann zu befürchten, zwitschern es auch die Jungen: Mauer, Stasi, Stacheldraht!

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Zwanzig Jahre nach dem Fall der „Berliner Mauer“ hätte man sich eigentlich schon dieses Anlasses wegen intelligentere Botschaften von den Klugen und Mächtigen erhofft als das, was in diesen Tagen im festlichen Unisono mitgeteilt wird: Schon interessant, wenn von einem weltweit anerkannten Ländlein oft nur die Kürzel „Mauer, Stacheldraht und Stasi“ übrigbleiben. Wie es die Alten „sungen“, so ist dann zu befürchten, zwitschern es auch die Jungen: Mauer, Stasi, Stacheldraht!

Wie sieht es aber nun genau jene Gruppe der Zwanzigjährigen, die mit voller Berechtigung als erste „nachgeboren“ genannt werden kann, und was ist vom „Geist des Aufbruchs“ angesichts der heutigen Lage geblieben? Studenten der Fachhochschule Potsdam machten sich jetzt selbst auf die Suche nach der Vergangenheit unter dem Motto „Potsdamer Bürgerbewegungen 89“. Die Studienbereiche Kulturarbeit, Archiv und Designe sammelten besonders beim Co-Partner Argus, der damals gegründeten Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung Informationen, sichteten Dokumente und Materialien, interviewten die Aktivisten von einst, um sich ein eigenes Bild der damaligen Ereignisse zu machen. Was dabei herauskam, ist nun im „Schaufenster“ der Fachhochschule gegenüber dem Marstall auf etlichen Quadratmetern unter dem historischen Titel „Macht besser“ (das A als Hammer und Zirkel aus dem Staatswappen der DDR) zu sehen: Persönliche Erinnerungsstücke, aus Archiven gegrabenes Material, Behörden-Schriftwechsel, „Rückblenden“, die in Bild und Texten bis zur Zweiten barocken Stadterweiterung im 18. Jahrhundert reichen, vieles fein auf „Sauerkraut-Platten“ montiert, dazu Ton- und Interview-Dokumente, per Telefonhörer abzuhören.

Eine tolle Sammlung von historischem Stoff, natürlich „Potsdam-bezogen“: Die Neugestaltung der damaligen Klement-Gottwald-Straße (heute Brandenburger) 1975 kommt dabei genauso zur Sprache wie der erzwungene Abriss- und Neubaustop Ende November 87 in der Innenstadt. Gefälschte Kommunalwahlen samt jener Eingabe zweier Kämpfer. Neues Forum, Filme und Fotos von den Demos „im Zeichen der Hoffnung“, aber auch brennende Mülltonnen sowie Stasi-Protokolle vom 1. Pfingstberg-Fest im Juni 90. Aber das bürgerbewegte Jahr 1989 war nicht das Jahr 1990, die Engagierten von einst wurden zu Etablierten, die Vollendung der Einheit war nur noch ein Verwaltungsakt.

Angesichts ihres Materials hätte man dem guten Dutzend Studenten eigene Fragstellungen mit Blick auf heute gewünscht, mehr Mut und Unabhängigkeit, Berater ohne Portefeuilles, Geldgeber und Oberste mit Lerneffekt und weniger Ideologie, aber das ist wohl schon wieder Utopie. Die gutbesuchte Vernissage am Freitagabend zeigte etwas anderes: Lobreden der Etablierten für den „Aufbruch“ von damals, Langweiliges aus dem Archivwesen, Salbungsvolles wider Mauer und Stasi aus ministeriellem Munde, nicht mehr. Irgendwer Höheres mokierte sich an diesem revolutionären Abend, weil eine längst glattgeputzte Toncollage den Liedermacher und IM Gerhard Gundermann hören ließ. „Halte durch“, war der historische Titel. Das geht so natürlich nicht! Die heutigen Chefs in der ersten Reihe redeten zuerst. Studenten dankten für die Unterstützung ihres Projektes – zuletzt. Befragt, warum sie sich das gefallen ließen, antwortete jemand: Es sind doch unsere Geldgeber! Gerold Paul

Gerold Paul

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