Kultur: Objektivierend, doch die Innigkeit fehlte Zweiter Teil von Bachs „Weihnachtsoratorium“
Zündende, von instrumentalem Glanz und vokaler Pracht umstrahlte Nummern, wie sie den ersten Teil des Bachschen „Weihnachtsoratoriums“ bestimmen, sucht und findet man im zweiten vergebens. Erzählen die Kantaten 1 bis 3 (in diesem Jahr sowohl von der Singakademie Potsdam unter Edgar Hykel als auch dem Oratorienchor Potsdam unter Matthias Jacob aufgeführt) die eigentliche Weihnachtsgeschichte in bewegten und bewegenden Bildern, trifft man in den Teilen 4-6 weitgehend auf Betrachtung, Verinnerlichung, Erbauung und innere Einkehr.
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Zündende, von instrumentalem Glanz und vokaler Pracht umstrahlte Nummern, wie sie den ersten Teil des Bachschen „Weihnachtsoratoriums“ bestimmen, sucht und findet man im zweiten vergebens. Erzählen die Kantaten 1 bis 3 (in diesem Jahr sowohl von der Singakademie Potsdam unter Edgar Hykel als auch dem Oratorienchor Potsdam unter Matthias Jacob aufgeführt) die eigentliche Weihnachtsgeschichte in bewegten und bewegenden Bildern, trifft man in den Teilen 4-6 weitgehend auf Betrachtung, Verinnerlichung, Erbauung und innere Einkehr. Will man dieses kontemplative Kapitel nicht in die Sentimentalität abgleiten lassen, braucht es bei seiner Wiedergabe der spannenden „Aufbereitung“.
Zusammen mit der Potsdamer Kantorei, dem Neuen Kammerorchester Potsdam und einem Solistenquartett junger Stimmen suchte Dirigent Ud Joffe am Sonnabend in der übervollen Erlöserkirche den gradlinigen, detailversessenen, objektivierenden Zugang zu dem Werk. Soweit, so gut? Nicht immer. Frisch und klangschlank ertönte das einleitende Bekenntnis „Fallt mit Danken, fallt mit Loben“ (Kantate 4) aus hell getönten Kehlen. Auch im Folgenden ließ der Dirigent eine ausgewogene, bewegte, in ruhigen Zeitmaßen sich wiegende pastorale Stimmung entstehen. Wenn da bloß nicht jene zwei Hörner gewesen wären, die durch ihre intonatorischen Probleme unrühmlich auffielen. Dieses Manko machten die drei Piccolotrompeten dann in der Kantate 6 wieder wett. Doch schien Joffe einer seelenerwärmenden Werkbeschau nicht recht trauen zu wollen und entschloss sich daher, in Abwendung jeglicher romantischer Ambitionen, zu einer eilenden, oftmals sich geradezu überstürzenden Gangart.
Schnelligkeit als Synonym für Freude? Unter diesem Fehlgriff litten sowohl das froh und kräftig angestimmte „Ehre sei dir, Gott, gesungen“ (Kantate 5) als auch andere heitere Erbaulichkeiten. Was wie in tonfein abgestufter Aquatinta-Manier begann, verwandelte sich zunehmend in eine Kaltnadelradierung. Das Neue Kammerorchester spielte dementsprechend, wenngleich die solistischen Arienbegleitungen durch Fagott, Oboe(n) und Violine(n) sowie das Continuo mit (Truhen-)Orgel, Cello und Kontrabass sich durch ihre gefühlvolle, warm getönte Musizierweise deutlich davon abhoben.
Die Sänger waren durchweg zu instrumentalem Singen angehalten. Die Rezitative und den Part des Evangelisten trug Daniel Sans mit seinem leicht anspringenden, hell getönten Tenor zunächst sehr prägnant vor. Schade, dass ihn alsbald die Höhenprobleme plagten. Darunter litt auch der Arienvortrag „Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken“ (Kantate 6). Und auch den Liebreiz der diversen Soprangesänge konnte Antje Perscholka nicht zum Klingen bringen. So fehlte es beispielsweise der „Echo“-Arie „Flößt, mein Heiland“ trotz stimmungsvoller Oboenbegleitung an Innigkeit. Das Duett (mit dem Bass) „Immanuel, o süßes Wort“ kam über die sachliche Betrachtung nicht hinaus, zumal mit Bariton Kai-Uwe Fahnert wieder einmal ein fachfremder Sänger am Werke war. (Gibt es keine „richtigen“ Bässe mehr?) Stimmkräftig und zu zügig verkündete er „Erleucht auch meine finstre Sinnen“.
Nicht nur im Terzett „Ach, wenn wird die Zeit erscheinen“ machte die ziemlich unbeteiligt wirkende Altistin Regina Jakobi glauben, dass ihr an einem seelenerbaulichen Vortrag kaum etwas liegt. Schade. Summa summarum: das „Weihnachtsoratorium“ ist (und bleibt?) für Ud Joffe ein bislang nicht bezwungener kirchenmusikalischer Gipfel.
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