
© Alexander Koch
Im winterlichen Staudengarten auf der Freundschaftsinsel leuchtet revolutionäres Rot. Die russische Künstlergruppe „Chto Delat?“ („Was tun?“) hat im gläsernen Pavillon am Havelufer, dem Sitz des Brandenburgischen Kunstvereins, Flaggen aufgehängt, die zum Umsturz aufrufen: mit Zitaten frei nach Hegel und Lenin, aufgenäht in Schwarz und Weiß auf rotem Stoff. „Chto Delat?“, derzeit auch in der Wiener Secession präsent, nehmen Lenins Frage „Was tun?“ ernst, „Chto delat“ heißt auch die Ausstellung selbst.
Mehr noch als Lenin rückt das Künstlerkollektiv immer wieder den Schriftsteller Tschernyschewski ins Bild, auf dessen 1863 im Gefängnis entstandener Roman „Was tun?“ Lenin sich mit seiner Schrift bezog, und in dem es um ein prototypisches revolutionäres Lebensmodell ging. Da knüpfen „Chto Delat?“ an, sie fragen nach politischer Teilhabe und dem Eindruck allgemeiner Ratlosigkeit angesichts der aktuellen Krisen. Zum 2003 gegründeten Kollektiv gehören neben Künstlern auch Kritiker, Philosophen und Schriftsteller aus Moskau, Nischni Nowgorod und Petersburg. Im Pavillon hat die Gruppe Zeichnungen, Poster, Videos und hölzerne Silhouetten revolutionärer Dichter platziert – luftig und leicht und doch dicht genug für einen lehrreichen Aufenthalt.
Das liegt vor allem an dem Film, der einen Auftritt von „Chto Delat?“ in der Kunsthalle Baden-Baden zeigt. In Anlehnung an Brecht ließ sie dort ein Quartett „Das Badener Lehrstück vom Un-Einverständnis“ singen, ein Loblied auf den Kommunismus, das den Zuhörern Zweifel auf die Gesichter schrieb, so, als ob sie nicht wüssten, ob sie lachen oder sich empören sollten. Mit solchen Verfremdungen politisch aufgeladenen Kulturguts ist es „Chto Delat?“ schon auf vielen Biennalen gelungen, das Publikum zu verwirren.
Auf der Freundschaftsinsel blättert der Besucher zu fröhlicher Filmmusik durch eine Wandzeitung zum Nahost-Konflikt und sieht sich Zeichnungen von verlorenen Menschen in Umgebungen an, die mal an einen Gulag, mal an Aldous Huxleys Roman „Schöne Neue Welt“ denken lassen. Verfängt sich der Besucher zwischen Utopie und Dystopie, sind „Chto Delat?“ am Ziel. Der Wunsch nach einer besseren Welt kollidiert mit dem Wissen über die Verbrechen früherer Revolutionen.
Einen Ausweg aus dem Dilemma scheint auch hier niemand zu kennen. An einer Wand hängen Fragebögen, auf denen Besucher auch vertrauenswürdige Kollektive nennen sollten. Niemand hat darauf eine konkrete Antwort gegeben, noch nicht einmal Kirchengemeinde oder Familie wurden genannt. Über diesen Mangel an Vertrauen würde man gern mehr erfahren, doch eine Aufführung von „Chto Delat?“, bei der sich Künstler und Potsdamer Publikum begegnen könnten, sieht das Programm des Kunstvereins leider nicht vor. Claudia Wahjudi
Noch bis zum 22. Februar im Pavillon auf der Freundschaftsinsel, dienstags bis sonntags, 12 – 17 Uhr
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