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Kultur: Oft genug mehr bemüht, als wirklich gekonnt

Die erste Potsdamer Tanznacht in der fabrik: viel Performance, wenig Tanz

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Die erste Potsdamer Tanznacht in der fabrik: viel Performance, wenig Tanz Von Frank Jast Wie sie sehen, sehen sie erst einmal nichts. So könnte man am Samstagabend den Einstieg in die Potsdamer Tanznacht mit einigem Resthumor beschreiben. Eine Tänzerin will sich nicht mehr sehen lassen. Paula E. Paul hat dafür am Rande des großen Saales eine Blackbox aufrichten lassen, in der man nach dem Löschen der Scheinwerfer wirklich die Hand vor Augen nicht sehen kann. Die eintretenden Gäste werden am Eingang mittels eines kleinen Handzettels aufgefordert, nicht zu rauchen, zu fotografieren, ihre Handys auszuschalten, kein Feuerzeug oder Licht zu machen, sitzen zu bleiben und Ruhe zu bewahren. Außerdem wird mündlich mitgeteilt, wer Schwierigkeiten mit absoluter Dunkelheit hätte, sollte diese Aufführung unbedingt meiden. Also, Klaustrophobe ausgeschlossen! Paula E. Paul steht im schwarzen Kostüm auf einer quadratischen Bühne und Leo Klepper lässt seine Viola mal schmachtend singen, mal krächzend und stöhnend aufheulen. Das Licht geht aus und das Stück „Ein Instrument und ein Paar Füße. Das Stück zum Fot“ wird zum Dialog zwischen Bratsche und mehr oder weniger rhythmischen Getrampel und Geklopfe auf der Bühne. Fast dreißig Minuten hat man ausgedunkelt auszuharren und soll mit „Gehör und Spürsinn in die Versuchung“ geraten, „entgegen dem entstehenden Chaos eine eigene Ordnung zu schaffen“. Das ist so kopfig konstruiert wie es einfach mehr als unbefriedigend von der Rampe kommt. Der Dialog zwischen Füßen und Viola entwickelt nie eine ästhetische Qualität, die ergreift. Paula E. Paul hat einfach nicht das Vermögen, eine artistische Perkussion auf ihrer Bühne zu entwickeln. Es ist einfach nur laut und langweilig, auch wenn die Paul am Ende statt im schwarzen Kostüm in weißem Kittel beleuchtet wird. Fader Zirkuszauber, der sich gedankenschwer gibt. Aber dieser Einstieg hat auch etwas Typisches für den ganzen Abend: Die Performer, nicht die Tänzer, beherrschen die Bühnen der Potsdamer Tanznacht, die so ihren Namen über weite Strecken zu Unrecht trägt. Patrick Scully (USA), Mauricio Novais (Brasilien) und Stefanie Neubeck (Deutschland) philosophieren mit Bewegungen, Gesang und Geschichten über die Farbe Blau. Unterschiedliche Erlebnisse werden ausgetauscht in Deutsch, Englisch und Portugiesisch, Lieder werden gesummt und vorgetragen. Das kommt alles sehr zärtlich und liebevoll humorig daher mit geschmeidigen und fließenden Bewegungen. Scully schießt schon einmal Kobolz, Novais hat die schlängelnde Eleganz einer Schlange und bei der Neubeck scheint eine wunderbar burleske Seite auf. Das entspannt nach der Dunkelshow, überzeugt jedoch nicht wirklich. Aber wir haben es ja hier meist mit „work in progress“, also unfertigen Werken zu tun. So stellt auch Sabine Chwalisz ein Zwischenergebnis ihrer Produktion „Haut 2“ vor. Wolfgang Hoffmann reibt sich mit den Innen- oder Außenflächen der Hände die Beine, das Gesicht, den Körper, schubbert sich mit den Armeninnenseiten. Meist läuft dazu im Hintergrund auf einer Gazewand ein Schwarzweißfilm mit diffus gehaltenen Bildern, die sich bei längerem Hinsehen als vergrößerte Hautpartien verschiedener Körperteile herausstellen. Manchmal wird durch Licht hinter der Gazewand vor einem Tisch sitzend Laurent Dubost sichtbar, der sich mit gehetzter Inbrunst bis zur ungesunden Rötung den Körper unter dem Hemd, seine Arme und sein Gesicht eincremt. Die Ästhetik des Films weiß zu überzeugen, die live eingesungene Stimmakrobatik von Alex Nowitz ist ein wirklicher Höhepunkt des Abends, die Darstellung bleibt bei aller Poesie eher bemüht. Letzteres ist bei der folgenden Aufführung nicht anders. Sven Till von der fabrik probt zur Zeit mit Carole Novak aus Großbritannien an einer neuen Performance. In „Trace" sitzen sich die beiden von Wand zu Wand gegenüber und zelebrieren Zusammenstöße, die sie nummeriert ansagen. Sie gehen mit immer größerer Geschwindigkeit aufeinander zu, stoßen zusammen, gehen zurück, schildern ihre Eindrücke beim Aufprall, erinnern schreckliche Erfahrungen aus der Kindheit. Nach der Pause wird endlich getanzt. Eva M. Blaschke und Pet Isensee verbinden in „Nordhimmel" Trapezakrobatik mit Ausdruckstanz zu einer Inszenierung zwischen kraftvoll-berstender und geschmeidig-inniglicher Körperlichkeit. Es ist eine Freude, zuzuschauen, welch“ unverstellt kindlichen Genuss am Schwingen und Schaukeln die beiden Tänzerinnen entwickeln, mit welch verspielter Leichtigkeit sie sich in den Seilen wiegen. Am Boden geht jedoch leider nicht wenig davon verloren. Den Schluss verschleppen Blaschke und Isensee in selbstverliebter Tändelei. Daniela Borchert und Katharina Golascha tanzen mit „Koffer copoeira“ einen Kampf um jenes kleine Reisebehältnis. Zwischen künstlerischen Anspruch und tänzerischen Möglichkeiten der beiden jungen Frauen klafft jedoch ein schmerzlicher Abgrund, in den das Publikum lange siebzehn Minuten schauen muss. Auch Alexander Sieber bemerkt nicht, dass er die vierzehn Minuten seines Stückes „Treibhaus“ nicht wirklich zu füllen vermag. Er erzählt mit wuchtiger Körperpräsenz die Geschichte: „Da ist eine Brücke, doch das Pferd geht durchs Wasser“. Es gibt anrührende Momente, wenn er als Pferd nervös die Schulterblätter zucken lässt und ängstlich gebremst über die Bühne galoppiert. Doch irgendwann ist sein Bewegungsvokabular aufgezehrt und verbraucht sich in Wiederholungen. Was dagegen am Ende der Tanznacht Joris Camelin und Mata Sakka in sieben Minuten splitterfasernackt auf der Bühne zelebrieren, gerät zu einer urkomischen wie sinnlich anrührenden Feier der Schönheit von Körpern. Wie sie da so auf einer Kiste sitzen und nur ihre Rücken sprechen lassen, ihn dehnen und mit Knacken von ungekochten Makkaroni unterlegen, sich dann umdrehen, um gekochte Makkaroni zu mampfen und durch die Gegend zu werfen, die Hinterbacken zum Vibrieren bringen, das ist schon umwerfend. Ihr anschließendes Pas de deux „besingt“ eine zärtliche gütige Menschenliebe, die mehr ist als nur sinnenrauschige Erotik. Ein versöhnlicher Schluss für einen eher bemühten langen Tanzabend.

Frank Jast

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