Kultur: Ohne Grenzen
Gangster-Rapper Tommy Wosch in der Arena
Stand:
Wenn er, nach seinem Pflichtaufenthalt in der Klapse, zwischen den Berufen Hausmeister, Erdferkel, Tanga-Präsentator oder Gangster-Rapper zu entscheiden hätte, wüsste dieser Tommy Wosch in seinem „kotz...grünen“ Trainingsanzug schon, was er wählen würde. Seine alten Eltern angeblich auch, irgendwoher muss er es ja haben. Sie tragen im Begrüßungsvideo dasselbe Kostüm, dieselbe Art von Wuschel-Perücke, sie führen die gleiche Sprache wie er, eine Mischung aus verspäteter Jugend und dem Dauer-Slang Marke „Fäkal“. Standesgemäß also fuhr sein Kompagnon Michi Balzer ihn am Mittwoch zur Show auf die Bühne der Waschhaus-Arena heraus: Auf einem Klobecken thronend, als rollender Stuhl. Der Gangster-Rapper hatte ja ohnehin vor, „zwei Stunden nur über Scheiße zu reden“, da kam ihm der Doppelsinn des Wortes Stuhl naturgemäß entgegen.
Seine Show drückte genau aus, was er dreihundertfünfzig jungen Leuten, die ziemlich viel für den Eintritt hinlegten, unter dem Titel „Bestuhlt“ versprach. Gleich anfangs sah man den kleinen Zeichentrick-Maulwurf vor der großen Frage, wer ihm denn diesen Haufen auf den Kopf gemacht hätte. „Wisst Ihr’s?“ fragte er ins Publikum. Man wusste. Solche Sachen finden immer Beifall – der Geist sitzt ja nicht umsonst oberhalb der Gürtellinie.
Nun kann dieser Agent provocateur mit seiner angedachten Schizophrenie offenbar so gut leben wie „Radio Fritz“ mit ihm als Moderator. Ruhm ist Ruhm, und Geld stinkt bekanntlich nicht. Allerdings hat nicht mal ein Tommy Wosch im „Arschhaus“ seinen groben Stil durchhalten können. Der Abend zerfiel in zwei ungleiche Hälften: Solange sich der „Clip-Produzent“ krampfhaft genug bemühte, die Straßen Berlins unsicher zu machen, indem er einen vollbesetzten Vergnügungskahn auf der Spree vor „Sackratten“ warnte, eine alte Dame in eine Telefonzelle einsperrte, Leuten von hinten ein Bein stellte oder dort seinen Haufen hinsetzte, wo sich zwei Urlauber strandseitig sonnten, da war er der tolle Hecht, den das junge Publikum wahrscheinlich nur seiner Traute wegen bestaunte. Ganz schön „bestuhlt“. Alle um Kopflänge überragend, zeigte ihm bisher wohl niemand seine Grenzen. So machte er, was er wollte, und der kleine, kotz...grün gekleidete Michi machte mit. Das war die harte Seite vom Abend.
Aber Gangster-Rapper hatte in Potsdam nicht mit der Tippse Jessika gerechnet. Sie und ihr Freund, der Koch Martin, waren das „Paar des Abends“. Die beiden Grünen befragten sie zu allerlei Intimitäten, verlangten ihr gewisse Fingerübungen und Riechproben ab, alles in, vor und für die Öffentlichkeit, und vom Supermann Tommy geleitet. Sie aber widerstand vielen seiner Anzüglichkeiten mit ihn überragender Intelligenz und weiblicher List. Als es dann darum ging, sich gegenseitig die Liebe zu erklären, seufzte der Saal gerührt – auch von Schaumschläger Tommy tropfte ein wenig die Härte herab, er war von den beiden besiegt. Umarmung, Küsschen, Dankeschön. Respekt diesem Pärchen.
Raue Schale – weiches Herz, oder alles nur Show? Tommy Wosch spielt mit seinem Publikum auf Kosten anderer: „Kult“ in eigener Sache. Er selbst ist zwar nicht mehr jung, tut aber noch so. Als zu spät gekommener Jüngling des Jahrganges 68 ist er sich für keine Zote zu schade, zu schade aber für eine Entschuldigung. Die Jugend hatte „Spaß“, doch die wenigen Älteren sahen, jenseits aller Eloquenz, so viel Ungewissheit, so viel Narzissmus auf dieser Bühne! Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: