Von Peter Buske: Ohne jeglichen romantischen Ballast Neues Kammerorchester bei der „Vocalise“
Undenkbar, dass zu Lebzeiten der Komponisten ihre Werke zusammen in einem Konzert hätten erklingen können. Wenn doch, dürfte erst die eine, dann die andere Hälfte des Publikums lautstark protestiert haben – zu gegensätzlich waren die künstlerischen Ambitionen der Tonsetzer.
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Undenkbar, dass zu Lebzeiten der Komponisten ihre Werke zusammen in einem Konzert hätten erklingen können. Wenn doch, dürfte erst die eine, dann die andere Hälfte des Publikums lautstark protestiert haben – zu gegensätzlich waren die künstlerischen Ambitionen der Tonsetzer. Auf der einen Seite Richard Wagner, Vertreter der „Neudeutschen Musik“, auf der anderen Johannes Brahms, der Traditionalist. Nun, beim 2. Vocalise-Konzert und gleichzeitigem 2. Sinfoniekonzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam (NKO) unter dem Titel „Deutschland – Kraft der Romantik“ standen bzw. saßen sich am Donnerstag in der gut besuchten Erlöserkirche keine unversöhnlichen Lager gegenüber. Im Gegenteil, gemeinsam erfreute man sich an der thematischen Ausrichtung des gescheit konzipierten Abends als „Schnittpunkt eines Doppels“, so der Veranstalter zuvor. Dabei zeigte sich auch, wie gut das Vocalise-Motto „Deutsche Musik“ mit dem NKO-Saisonschwerpunkt „Europa der Nationen“ korrespondieren konnte.
Dass Wagner beileibe kein Frauenverächter war, zeigt sich in zwei musikalischen Liebeserklärungen, die als Folgen turbulenter Affären gelten dürfen. Zunächst das „Siegfried-Idyll“, eine tonsatzfiligrane Geburtstagsgratulation für Gattin Cosima. Des Stückes fast traumversunkene und zart getönte, fast impressionistisch schillernde Farbigkeit bringen die Musiker unter Leitung von Ud Joffe in fast unaufhörlichem Schwelgen zum Klingen: sehr transparent, ohne romantischen Ballast. Heftigen Aufwallungen steht sonniges Strahlen gegenüber. Das harmonische Raffinement der dreißigminütigen Hommage lässt sich anschaulich nachverfolgen. Die Dynamik ist fein abgestuft, ganz auf lyrische Linie angelegt. Wird leise musiziert, breitet sich Sinnlichkeit aus. Wenn nicht, mangelt es an glühendem Vibrieren voller Glanz und Wonne.
In den Vertonungen der fünf „Wesendonck-Lieder“ nach Gedichten von Mathilde W., Wagners Muse und Gattin des Seidenhändlers Otto Wesendonck, spürt man allenthalben ein Verlangen wie von Tristan und Isolde. Sopranistin Peggy Steiner sucht es in überwiegend kraftvoller Artikulation auszudrücken. Weniger mit schmelzendem, großen Gefühl („Der Engel“). Sie meidet jegliches waberndes Wagner-Pathos, versucht ins Innere der Textgedanken und des Klanggewebes einzudringen („Im Treibhaus“). Im finalen „Träume“ findet sie endlich ansatzweise zu einem geheimnisvollen Ton, dem es allerdings an hemmungsloser Hingabe an das Versinken in Gefühlen fehlt. Sie bleibt immer kontrolliert.
Das lässt sich auch vom Spiel der südkoreanischen Geigerin Ye-Eun Choi berichten, die Johannes Brahms’ höchst anspruchsvolles D-Dur-Violinkonzert op. 77 in bemerkenswerter technischer Brillanz, aber auch staunenswerter Glätte und Kühle spielt. Kräftig ist ihr Bogenstrich, nachdem das Neue Kammerorchester Potsdam mangels personeller Masse das erforderliche Klangvolumen durch unschönes Forcieren herzustellen trachtet. Die Folge: ein fast durchgängiges Forte bis Fortissimo. Wie soll sich da instrumentales Singen voller Wärme einstellen? Man musiziert eher nüchtern anstatt sich von der „Kraft der Romantik“ inspirieren zu lassen. Insofern sind Orchester und Solistin im besten Einvernehmen. Den entdeckungsfreudigen Blick hinter die Noten wagen sie nicht und so bleibt Brahmsens Seele weitgehend außen vor. Keine Zwischentöne im Adagio, keine Zwischenfarben im finalen Allegro. Stattdessen eine Verbissenheit, die gestalterisches Differenzieren unmöglich macht.
Peter Buske
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