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Kultur: Ohne Mut zum Schauder: „Herz schlägt Tod“

Deutsche Erstaufführung im Hans Otto Theater

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Deutsche Erstaufführung im Hans Otto Theater Dem deutschen Filmpublikum als Autorin und Regisseurin von „Begierde“ schon bekannt, gibt es jetzt von der Kanadierin Collen Murhpy auch ein Theaterstück zu sehen, in dem ebenfalls Katja Riemann die Hauptrolle spielt. Sie gibt hier die Mutter eines achtjährigen Mädchens, das durch einen vom Vater verschuldeten Autounfall stirbt. Die unfassbare Schwere dieser Lebenskatastrophe kommt bei der Autorin in schockierend leichten Dialogen daher. Das Unheil grummelt nur im Gebälk aber lässt das Haus nicht gänzlich einstürzen. Der Kampf um das, was man nicht wahrhaben will - Tod, Schuld, Einsamkeit -, ist mindestens so stark wie die verleugnete Tatsache selber. Die Beerdigung des Kindes ist kaum vorbei, da geht es schon wieder um lecker Kuchen, viele Tabletten, Schnaps und eitle Rechthabereien. Die Enthüllungsstrategie des tatsächlichen Unfallherganges vollzieht sich allmählich nach dem klassischen Ibsenmuster von der Lebenslüge. Bevor sich erst am Schluss die Wahrheit offenbart, hasst und liebt man wie bei Strindberg oder droht im Schattenboxen a la „Virginia Woolf“ seine Kräfte zu verschleißen. Bei allem Kampf bleibt aber immer das hauchzarte Netz feinnerviger Abhängigkeiten voneinander, aus dem man sich nicht lösen kann oder will. Und sei es nur, um noch einmal einen Neuanfang in Richtung Glück zu starten. Die Inszenierung wuchtet dieses Kammerspiel im Stile amerikanischen Boulevardtheaters in einen großen Sandkasten mit Bretterumrandung und Wasserbeckenluke (Ausstattung Frank Prielipp). Man suhlt, verkrallt, beschmiert sich im Erdreich, tobt im nassen Element und stampft Gänge wie Worte in eine überdimensionierte Bedeutungsschwere (Regie Yüksel Yolcu). Katja Riemann, eher Medea oder Antigone, kämpft in beherrschter Raserei jede Wortsilbe hervor. Leider verzichtet die Inszenierung auf die autorengewollte Brutalität einer eindringlichen Präsenz des toten Kindes. Das auf der Bühne gezeigte Wesen ist mehr flüchtiges Engelchen denn blutüberströmter Albtraum aus dem Stück, der „O wie wohl ist mir am Abend“ singen sollte. So wurde aus filigranem Psychohorror mit gefährlicher Nähe zur Neurose das gesündere Bolzen gegen Schienbeine. Gisela Leipert als Großmutter wirkt denn mehr wie ein kraftvoller Handwerker, dem man abgründige Seelennuancen nicht so ganz wirklich zutraut. Auch Rahel Ohm als im Lächeln kraftvoll erfrorene Trauerarbeiterin erreicht die schwindelnde Höhe ihrer Figur kaum. Es fehlt der Mut zum Schauder über die Abartigkeiten unserer Seelenmaskierungen. Wo amerikanischer Exhibitionismus gern berührende Psychoanalyse mit masochistischer Lust zu einer flirrend-faszinierenden Tonalität verbindet, hat in dieser sportlichen Aufführung gründliche Gedankenarbeit jedes Sentiment, jeglichen Humor begradigt. Einzig Michael Wenninger als gelähmter Unfallüberlebender gelingen die Töne, die eine Operation am offenen Herzen bei vollem Bewusstsein braucht. Bis zur selbstverliebten Manier. Nächste Vorstellung am Freitag, 12.11., 19.30 Uhr in der Reithalle A

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