Kultur: Ohne Prickeln
Helmhöltzer ehrten Hermann Kasack
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Um einen wie Hermann Kasack zu ehren, muss der Anlass nicht „rund“ sein, ein halbrunder reicht. Am Donnerstag ehrte das Helmholtz-Gymnasium den Verlagslektor und Kulturförderer, den Poeten und Immigranten, den Potsdamer und Stuttgarter zu dessen fünfundvierzigsten Todestag mit einer echten Feierstunde. Unter den Gästen war Friederike Kasack, Schwiegertochter des bekannten Radio-Pioniers. Innerhalb seiner Schule wird er zwar genauso prominent behandelt wie die altgedienten Helmhöltzer Wilhelm Kempff, Manfred Butzmann oder Simone Thomalla, doch ihm ist eine Dauerausstellung im Durchgang der heiligen Hallen gewidmet. Die Gymnasiasten, zahlreich und pünktlich in der schönen Aula versammelt, wissen also genau, mit wem sie es zu tun haben.
Ein zweiter Aufhänger zum Unrunden fand sich auch in einem neuen Heft des vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst edierten „Poesiealbum“, welches nicht einfach nur von Land und Stadt gefördert wurde. Nein, das Kultur- und Schuldezernat Potsdam „empfahl“ es in einer hellen Stunde geradezu.
Der Schulkurs „Darstellendes Spiel“ hatte sich unter Anleitung von Cornelia Lück die Verse dieses Prachtexemplars von „Poesiealbum“ mit der Nummer 291 etwas näher angeschaut und ein Mini-Programm daraus gebastelt. Statt die Goethes Geist geweihten Verse von Leben und Vergehen, von der Melancholie des Lebens vorzutragen, wählte das elfköpfige Team eine kollektive Darstellungsweise, wo es mal einen Vorsprecher samt Chor gab, mal jede Zeile aus einem anderen Munde kam. Das hörte sich zwar ziemlich griechisch an, doch bleiben Zweifel, ob sich so die ganze Sinnfälligkeit dieser auf Harmonie gestellten Poesie herüberbringen ließ.
Simon Huonder hatte es am Klavier einfacher, er war und blieb bei der wunderbaren Darstellung von Chopin und Debussy ein Solist. Lisa Weller gab dann noch ein Lied in englischer Sprache dazu, deutsche gibt es ja scheinbar nicht mehr. Das Hauptstück des Laudierens freilich oblag dem emeritierten Hochschullehrer Knut Kiesant, den Potsdamern durch manche Einführung in eine Lesereihe vom Hans Otto Theater bekannt. Als Wissenschaftler, Germanist und Systematiker konnte er der Versuchung nicht widerstehen, Hermann Robert Richard Eugen Kasack (1896-1966) nach Art des Lebens, der Person und der Umstände zu befragen.
Besonders prickelnd war das trotz gelockerter Rhetorik nicht, zumal er sich um eine Apotheose dieser Person bemühte und Kasacks freiwillige Immigration fast in den Himmel des Widerstandes erhob: „Er war mehr als ein Schriftsteller!“ Friederike Kasack wusste das ein bisschen besser: Von den Schülern nach dem Zentrum seiner Arbeit befragt, nannte sie noch vor dem Schreiben seine „Kulturförderung“. So habe er sich in den Zwanzigern als Lektor beispielsweise für Günter Eich und Franz Kafka eingesetzt. „Er stellte sein Talent zugunsten anderer zurück.“ Zugunsten Talentierterer als er selbst, fügte sie hinzu. Letztlich einigte man sich, dass Hermann Kasack „im Herzen immer Potsdamer geblieben“ sei. Das war richtig brav.
Wie bei solchen Festlichkeiten üblich, standen sich also Lob und Produktivität mal wieder reziprok gegenüber. Viel Hohes und Hehres. Dafür kein Platz für die Phantasie, für eine Poetik, die Raum und Zeit gar nicht nötig hat, die alles Systematische voller Erschrecken flieht. Kritikfaktor Null. Das war der tote Dichter – und wann nun kommt der lebendige?
Gerold Paul
Gerold Paul
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