Von Peter Buske: Ohne romantische Schönfärberei Silvesterkonzert in der Nikolaikirche
Kein Jahreswechsel ohne die „Neunte“?!
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Kein Jahreswechsel ohne die „Neunte“?! Es geht auch ohne sie und dennoch mit Beethoven! Das Silvesterkonzert in der bis auf den letzten Platz besetzten Nikolaikirche beweist es erneut auf höchst eindrucksvolle Weise. Auf dem Programm stehen des Meisters C-Dur-Klavierkonzert und die 5. Sinfonie c-Moll, musiziert vom Symphonieorchester der Philharmonischen Gesellschaft. Die Leitung obliegt Nikolaikantor Björn O. Wiede, der zudem den Klavier-Solopart spielt. Dazu sitzt er mit dem Rücken zum Publikum vor dem deckellosen Bechstein-Flügel und gibt, wenn er nicht in die Tasten greifen muss, Einsätze fürs Orchester. Es geschieht selten genug, so dass Konzertmeister Wolfgang Hasleder in vornehmer Zurückhaltung diese impulsgeberischen Aufgaben wahrnimmt.
Ungewohnt zart und weich getönt hebt die Orchestereinleitung an, ehe es zum ersten Forteausbruch kommt, der dann erneut in lyrische Klangwelten zurück gleitet. Dann folgt der Einsatz des Solisten, der weitgehend im Pianissimo tastatiert und dabei größtenteils faserstrukturklare Klangwatte produziert. Transparenz ist angesagt, auch Leichtigkeit und Lockerheit. Man hört Allegro, jedoch kaum con brio wie eigentlich erforderlich. Zum virtuosen Wettstreit kommt es allerdings nicht. Das Orchester begleitet wie beiläufig, hält sich dezent im Klanghintergrund. Und so erinnert das musikalische Geschehen eher an ein innigliches Beisammensein im Chambre separée als an muskelspielerisches Vorzeigen kunstfertiger Fähigkeiten.
Das kann kein Zufall sein. Ist es wohl auch nicht. Um der nachhallreichen Akustik ein Schnippchen zu schlagen, betont Wiede über Gebühr das Leise, Transparente und Klare. Auch sitzen die Streicher stark podesterhöht (ebenso der Flügel) vor den Altarstufen. So ist der Klang dem Raum weit besser angepasst als früher. Die Musik dankt es, indem sie sich überaus klangverständlich und mit Feinsinn verbreitet. In den Allegro-Ecksätzen durchaus von Vorteil, leidet dagegen das Largo an einem wenig inspirierten Musizieren. Einen so ausdrucksbelanglosen Anschlag wie hier hört man wohl nur selten. Wo blieb das Sangliche und Innige, das Sprühen und Funkeln? Dass Wiede Klavierspielen kann, steht außer Frage. Ein Tastenverführer ist er jedoch nicht. Vielleicht sollte er sich darauf konzentrieren, was er vorzüglich kann: dirigieren.
Beethovens Metronomangaben schienen den Dirigenten regelrecht zu beflügeln. Seine Anweisungen finden ihren direkten Weg zu den einzelnen Pulten. Und plötzlich klingt das Orchester wie verwandelt. Zügig geht man zu Werke, ist konzentriert bei der Sache, spielt Ausdruck statt nur vom Blatt, erfährt als Zuhörer der Musiker inneres Beteiligtsein, erfreut sich am präzisen Zusammenspiel und hört unerwarteten instrumentalen Glanz. Der Klang von Wiedes bunter Truppe bleibt schlank, ohne romantische Schönfärberei oder schicksalshafte Verklärung. Bei allem konflikthaften Ringen ist die Dynamik der Raumakustik angemessen. Zwischen schmerzvoll und kantabel singt sich das Andante con moto aus, spannungsgeladen die einander attacca folgenden Allegro-Sätze. Der Beifall prasselt, wohl auch deswegen, weil durchweg schlank und mit nur wenig Vibrato musiziert wurde.
Peter Buske
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