Kultur: Ohne Rücksicht auf Verluste
Die Medienhure kehrt zurück: Tommy Wosch war im Lindenpark zu Gast / DerHumor ist unterhalb der Gürtellinie
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Die Medienhure kehrt zurück: Tommy Wosch war im Lindenpark zu Gast / DerHumor ist unterhalb der Gürtellinie Tommy Wosch ist auf Kollisionskurs. Anecken will er, um jeden Preis. Wo? Überall. Wie? Fast immer so, dass jede Schmerzgrenze überschritten wird. Auf Verluste nimmt er dabei keine Rücksicht, am wenigsten bei sich selbst. Denn einen guten Ruf hat Tommy Wosch längst nicht mehr zu verlieren. Falls er ihn je besaß, dann hat er ihn vor Jahren schon im Lokus seines derben Humors verschwinden lassen. „Die Medienhure kehrt zurück“, so der Titel seiner aktuellen Bühnenshow, mit der Tommy Wosch am Donnerstag im Lindenpark gastierte. Die Fortsetzung seiner sehr erfolgreichen Tour „Wosch – eine Medienhure packt aus“. Der 39-Jährige ist beliebter und gleichzeitig umstrittener Moderator bei Radio Fritz. Auch im Fernsehen durfte er schon glänzen, unter anderem bei SAT 1 mit „Böse Nachbarn, Gute Nachbarn“ und bei TV Berlin mit „Wosch Woche“. Sein Vorgehen ist einfach, aber äußerst wirkungsvoll: Größtmögliche Respektlosigkeit, ein furchtbar loses und schlagfertiges Mundwerk und der Hang zum Provozieren. Woschs Humor ist fast immer unterhalb der Gürtellinie angesiedelt. Ob er nun sein Manuskript für den ersten Frauenporno vorstellte oder in Guido Knoppscher Tradition „Hitlers Scheiße“ erforschte. Egal ob hohe Politik oder Zwischenmenschliches, Wosch zerrte alles ins Abgründige. Nun könnte man ihn schulterzuckend als einen chauvinistischen Deppen abtun, der mit platten Gags Quote macht. Doch allzu oft erwischte man sich lachend, obwohl man eigentlich gar nicht lachen sollte. Sein Fäkalhumor ist nur vordergründig. Wosch zielt auf mehr als nur derbe Lacher. Er ist radikal, weil für ihn der Satz „Das macht man nicht!“ nicht gilt. Er ist schonungslos gegen sich, gegen Männer, Frauen, Ausländer, Neonazis, Homosexuelle. Und er hält uns damit einen Spiegel vor. Denn wir akzeptieren zwar Homosexuelle – oder darf man Schwule schreiben – doch machen wir in kleiner Runde mit diebischer Freude Witze über sie. Mit dieser Ambivalenz, die sich auf alles und jeden übertragen ließe, mit dieser Scheinheiligkeit der Political Correctness hat Wosch gebrochen und zerrt sie brutal ins Scheinwerferlicht, ohne sich dabei als Moralist zu geben. Dass an diesem Abend auch das Publikum beleidigt wurde, braucht eigentlich nicht erwähnt zu werden. Es gehört zur Taktik des Tommy Wosch: Immer unberechenbar bleiben. Eben noch ganz nett, dann setzt es wieder Watschen satt. Tommy Wosch bewegt sich dabei ganz in der Tradition der Radikalhumoristen wie der bekannte Radiomoderator Howard Stern, dessen Sendung, in der er mit sexuellen Anspielungen das prüde Amerika provozierte, kürzlich abgesetzt wurde oder dem Britten Sasha Baron Cohen, der als Prollrapper Ali G. erfolgreich sein Unwesen treibt. Mit scheinbarem Nonsens übermäßig zu karikieren, das ist die Methode, die dahinter steckt und die nicht immer funktioniert. Denn wenn Tommy Wosch in „Wosch Woche“ mit einer ausgenommenen Forelle an der Leine durch Berlin läuft und Hundehalter irritiert oder als Superman verkleidet auf einem Dreirad den Verkehr blockiert, dann ist und bleibt das Schwachsinn. Wenn er aber in der gleichen Sendung mit viel zu enger Armeehose, Bomberjacke und Hitlerbärtchen auf einer NPD-Demo auftaucht, ein Idiotengesicht zieht und sich x-beinig in die Hosen nässt, dann sind alle Kameras auf ihn gerichtet und so hat er mit dieser eigentlich idiotischen Aktion die ganze Demonstration ad absurdum geführt, wie es wohl keine noch so lange Lichterkette geschafft hätte. Ob einem dieses Kuriositätenkabinett gefällt, muss jeder für sich entscheiden. Im vollen Lindenpark zumindest wurde die „Medienhure“ frenetisch gefeiert.Dirk Becker
Dirk Becker
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