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Kultur: Ohne Sinn, aber nicht sinnlos

Gela Eichhorn inszeniert Kohlhaases „Erfindung einer Sprache“

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Gela Eichhorn inszeniert Kohlhaases „Erfindung einer Sprache“ Von Dirk Becker Runidam. Das Wort runidam kostet Straat fast das Leben. Dabei hatte er es erst zwei Tage zuvor erfunden, um sein Leben zu retten. Doch Misstrauen gibt es immer. Und als der Kapo Battenbach nachfragt, dem Straat runidam als das persische Wort für Kantine vorgab, da fällt es Straat nicht mehr ein und die schwere Faust des wutentbrannten Kapos landet in seinem Gesicht. Bei Gela Eichhorn spricht die Faust Battenbachs durch ein Klavier. Eben noch erzählte sie von Straat, der auf seiner verdreckten Pritsche liegend, ein System für sein Persisch entwickelt, dies mehrmals wiederholt und dabei in einen unruhigen Schlaf gleitet. Da drischt auch schon Gabriele Kwaschik Dissonantes aus den Tasten und lässt die Faust Battenbachs in das hochschreckende Publikum fahren. Die Erzählung „Erfindung einer Sprache“ von Wolfgang Kohlhaase hat Gela Eichhorn in einem gleichnamigen, einstündigen Erzähltheater umgesetzt, das am Wochenende im Kunstwerk Premiere feierte. Nicht viel brauchte sie, einen Stuhl, das Klavierspiel von Gabriele Kwaschik und ihre Stimme, um die Geschichte des KZ-Häftlings Straat zu erzählen, der im April 1944 völlig entkräftet für einen Tag zum Kartoffelschälen in die Lagerküche abkommandiert wird. Dort behauptete er gegenüber dem Küchenkapo Battenbach, der gerne Persisch lernen möchte, dass er diese Sprache beherrsche. Straat hat in seinem Leben nie ein Wort Persisch gesprochen. Doch er weiß auch, dass er einen weiteren Tag im Steinbruch nicht überleben würde. Und so erfindet er eine Sprache, die er fortan dem Kapo als Persisch lehrt. Mehrmals steht Straat kurz vor der Entdeckung. So auch als der misstrauische Battenbach ihn mit runidam auf die Probe stellt. Doch scheint in diesem Moment nicht mehr wirklich entscheidend zu sein, ob die Sprache Straats, die er als Persisch ausgibt, auch wirklich Persisch ist. Allzu schnell vergisst Battenbach die berechtigten Zweifel. Die Sprache, die er erlernt, gibt ihm Hoffnung, ein Ziel im grauen Lageralltag. Genau wie sie für Straat, der nun dauerhaft zum Küchenkommando gehört, zu mehr wird als nur ein Lebensretter. Auch sie gibt ihm eine Aufgabe und so Hoffnung in dieser Hoffnungslosigkeit hinter Stacheldraht. Gela Eichhorn erzählt mit ruhiger Stimme, frei von Pathos und Betroffenheit, mit Gespür für das Lakonische der Kohlhaaschen Sprache. Sie schlüpft mit zurückhaltender Mimik in die Rollen Straats und Battenbachs und gibt ihnen so Kontur. Straat, holländischer Physikstudent, der sich schon fast aufgegeben hatte, und Battenbach, ehemaliger Zuhälter aus Hamburg, ein manchmal sympathischer Thor, dessen Stellung als Küchenkapo über Leben und Tod entscheidet. Und fast beiläufig zeigt Gela Eichhorn, unterstützt durch Gabriele Kwaschick am Klavier, die mit klassischen Themen das Erzählte weiterträgt, wie nah in dieser Geschichte Komik und Tod beieinander liegen. Bedrückend, wenn man über Battenbachs Sprachversuche lacht und dann erfährt, dass täglich 50 Menschen im Lager sterben. Mit kleinen Pausen lässt Gela Eichhorn dem Zuschauer oder besser Zuhörer genug Raum für das Geschehen im eigenen Kopf. Und mit ruhiger Stimme führt Gela Eichhorn die Geschichte zu ihrem unspektakulären, deswegen aber nicht weniger starken Ende. Dem einen rettet die Fantasiesprache das Leben. Der andere wundert sich, im Land seiner Träume angekommen, über das seltsame Kauderwelsch, das die Einheimischen dort sprechen.

Dirk Becker

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