Kultur: Ominöse Atmosphäre in grellem Tageslicht
Filmklassiker vorgestellt: Polanskis „Chinatown“ im Filmmuseum / Von Britta Kretschmer
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Vor allem Babelsberger Filmgeschichte wird im Filmmuseum gehegt und gepflegt. Das heißt, die vielfältigen Dokumente, Kostüme, Technik, Nachlässe werden gesammelt und dem Publikum präsentiert. Und natürlich kommen cineastische Kostbarkeiten zur Aufführung. In unserer Serie „Filmklassiker vorgestellt“, die gemeinsam mit dem Museum entstand, stellen wir heute „Chinatown“ von Roman Polanski vor.
Der New-Hollywood-Klassiker „Chinatown“ ist derzeit in einer dem Regisseur Roman Polanski gewidmeten Reihe im Filmmuseum zu sehen. Am Donnerstag bietet sich außerdem die exklusive Gelegenheit, etwas über Polanskis neuestes Projekt, die Verfilmung des Robert-Harris-Thrillers „The Ghost“ zu erfahren, für das der Regisseur nach „Der Pianist“ in die Babelsberger Studios zurückkehrt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Studio Babelsberg film.talks wird Roman Polanski ab 20.30 Uhr über sein Werk sprechen.
Bei den Dreharbeiten zu „Chinatown“ sollen die Fetzen geflogen sein. Hysterische Anfälle von Faye Dunaway und nicht enden wollende Konflikte zwischen Polanski und Drehbuchautor Robert Towne ließen Produzent Robert Evans vom „dritten Weltkrieg“ sprechen. Doch das Ergebnis ist eines der größten Meisterwerke des New Hollywood. In den 1970er Jahren griff die Filmmetropole die skeptische, durch Vietnamkrieg und Watergate geprägte gesellschaftliche Stimmung auf. Dafür prädestiniert war das Genre des Detektivfilms: Hier konnte den wahren Verhältnissen die Maske vom Gesicht gerissen werden. In vielerlei Hinsicht bezieht sich „Chinatown“ (1974) auf die Klassiker des Genres, die Filme der schwarzen Serie.
Los Angeles in den 1930er Jahren: Die Stadt ist auf dem Weg zur Boomtown, doch Wasserknappheit begrenzt das ungestüme Wachstum der auf Wüstensand gebauten Metropole. Wasser wird zum Spekulationsobjekt, dessen Wert durch verbrecherische Manipulationen noch gesteigert wird. Diese Ausgangssituation wird von Polanski jedoch meisterlich im Diffusen belassen. Der Film zieht den Zuschauer durch seine ominöse Atmosphäre in den Bann, die sich in fast Hitchcockscher Manier im grellen Tageslicht entfaltet. Der Privatdetektiv Gittes wird unwissentlich zum Werkzeug dunkler Machenschaften, als er den Auftrag erhält, einen leitenden Angestellten der Wasserwerke zu observieren. Kurz darauf stirbt der Mann, scheinbar durch einen Unfall. Gittes stellt nun trotz großer Widerstände (die berühmte aufgeschlitzte Nase!) eigene Ermittlungen an und gerät dabei immer tiefer in ein verwirrendes verbrecherisches Dickicht.
Jack Nicholson brilliert als Privatdetektiv, der von Humphrey Bogarts Vorlage die zynische Abgeklärtheit übernimmt, jedoch nicht dessen weltmännisches Format. Mit der Beharrlichkeit eines arroganten Terriers, der sich nicht hinters Licht führen lassen will, bewegt er sich zwischen Establishment und Halbwelt. Nicholson gibt dem Antihelden mühelos glaubwürdige Tiefe und bekräftigt in „Chinatown“ seine Anwärterschaft auf den Hollywood-Olymp. Faye Dunaway spielt trotz oder gerade wegen ihrer nervlichen Instabilität während der Dreharbeiten in Höchstform. Ihre geheimnisvolle Unnahbarkeit ist nicht Ausdruck kalter Berechnung, sondern der Selbstschutz der eigentlichen Heldin des Films.
Ein dritter Besetzungscoup gelingt Polanski mit John Huston – einer der wichtigsten Regisseure des Film Noir – als Drahtzieher hinter dem mörderischen Komplott. Seine Monstrosität offenbart sich in einer vereinnahmenden Art, die selbst dann nicht erschüttert wird, wenn er über die inzestuöse Beziehung zu seiner Tochter spricht. In Hustons Figur spiegelt sich die Pervertierung der Macht wider, die New Hollywood so gerne entlarvte. Indem Polanski sich mit seinem düsteren Schluss gegen das ursprüngliche Happy End des Oscar-prämierten Drehbuches durchsetzte, dokumentierte er intuitionssicher den skeptischen Zeitgeist der späten 60er und 70er Jahre. Sein virtuos inszeniertes, beunruhigendes Stimmungsbild aus dunklen Machenschaften, Zynismus und Hilflosigkeit macht „Chinatown“ zu einem der großen Klassiker der Filmgeschichte. Zu sehen am 19. Februar um 18 Uhr.
Die Autorin ist freie Mitarbeiterin des Filmmuseums Potsdam.
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