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Kultur: „Opa, warum sind wir so arm?“

Kurt Biedenkopf über die „Ausbeutung der Enkel“

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So einen Großvater hätten viele gerne. Einen Wissenschaftler, der in der Politik mitmischte und höchste Ämter bekleidete, der Bücher schreibt und sich auch noch um die Zukunft der Familie sorgt. Kurt Biedenkopf war Rechtsprofessor, Uni-Rektor, CDU-Generalsekretär, Kohl-Widersacher und zuletzt 12 Jahre lang Ministerpräsident in Sachsen. Nun, vor beinahe 200 Zuhörern im Alten Rathaus, erklärt er eloquent, dass man die kommenden Generationen dringend vor den riesigen Schuldenlasten schützen müsse, die wir heute in unserem Sozialstaat anhäufen. „Mehr Freiheit wagen“, heißt sein Appell mit den Worten der Bundeskanzlerin. Die meisten der Zuhörer teilen sichtbar seine Großelternerfahrungen, und interessieren sich brennend für die Wege, die er aufzeigt und in seinem Buch „Die Ausbeutung der Enkel“ näher erläutert. Viele von Biedenkopfs Äußerungen werden von zustimmendem Gemurmel begleitet. „So ist es“, hört man immer wieder.

Der Anstoß für seine Sorge steht, so im Gespräch mit Moderator Klaus Rost, bei ihm als Foto auf dem Schreibtisch: Seine sechs Kinder und zehn Enkel. Biedenkopf sagt, er möchte von ihnen später nicht gefragt werden, wie er als 15-Jähriger seinen Vater nach dem Ende des Dritten Reiches fragte: „Papa, wie war die Katastrophe möglich?“ und „Warum hast Du nichts gemacht?“

Kommt es wirklich so schlimm? Biedenkopf war einer der ersten, als er Anfang der 80er Jahre vor der demographischen Katastrophe und ihren Auswirkungen auf den Sozialstaat warnte. Er hat die Fakten im Kopf. Drei-Fünftel des jährlichen Bundeshaushalts seien bereits „vergangenheitsorientiert“, d.h. würden für Renten, Schulden und Zinsen ausgegeben werden. „Spare in der Zeit, so hast Du in der Not“, gelte nicht mehr. Wenn heute über Reformen geredet werde, so ginge es immer nur um die Besserung der Gegenwart. An die Enkel denke keiner.

„Man kann die Sache nicht mehr kontrollieren“, sein Fazit. Der Sozialstaat sei „entgrenzt“, heute gäben wir zehnmal mehr für Sozialpolitik aus als am Anfang der Bundesrepublik. Diese Entgrenzung ist der Schlüsselbegriff in Biedenkopfs Überlegungen. Er weiß, wann sie angefangen hat (bereits bei Erhards „Wohlstand für alle“) und kann viele ihrer Formen nennen. So das ausufernde Gesundheitssystem, die Pflegeversicherung oder auch – er spricht dabei offensichtlich dem Auditorium aus dem Herzen – bei der Übertragung von immer mehr Erziehungsaufgaben auf die Schulen. Neben der gigantischen Staatsverschuldung habe das auch einen Verlust an Eigenverantwortung zur Folge. „Wir haben die Freiheit eingetauscht für umfassende Sicherung“, das sei ein „Hauptproblem, das letztlich auch der Demokratie abträglich sei.

Und was schafft wieder Begrenzung in der „Wohlstandsillusion“, der wir momentan erliegen? Biedenkopf nennt die Selbsthilfe, die in der kleinsten Einheit, der Familie, beginnen müsse. Diese regelt zunächst ihre Probleme selbst. Er nennt das „Subsidiaritätsprinzip“. Er fordert auch statt eines quantitativen, die Einführung eines qualitativen Wachstumsbegriffs. Wie auf dem von der Adenauer Stiftung und dem Brandenburgischen Literaturbüro organisierten Abend wählt Biedenkopf ganz einfache Bilder und Volksweisheiten: „Bäume wachsen schließlich nicht in den Himmel“, sagt er, „aber ein Wald wächst auch, aber in ihm vergeht auch immer etwas.“ Wir sollten uns von Dingen trennen, die wir nicht bräuchten. Doch ohne die Mitwirkung der Menschen gehe es nicht. „Man kann so viel von unten machen“, sagt Biedenkopf und beschreibt, wie Eltern und Lehrer sich gemeinsam um das Fortkommen der Kinder kümmern könnten.

Dieser Großvater weiß eine Menge und hat viele Lösungen anzubieten. Manchmal klingt diese Weisheit recht einfach. So sein Votum für mehr Bildung in der Wissensgesellschaft, denn: „Wer was gelernt hat, der kommt nach einem halben Jahr in Arbeit.“ Kurt Biedenkopf bündelt seine Lebenserfahrung wie wertvolle Essenz in so manchem kritischen, wie altersklugen Satz. „Die Intelligenz des Staates müsse wachsen“ ist so ein Wort, das ihn selbst wohl ausnimmt.

Doch dieser mahnende Großvater mit dem umfassenden Wissen zeigt auch Verständnis für alle, die noch nicht so weit sind: „Es ist das Ergebnis von 40jähriger Arbeit, Lebenserfahrung und Einsicht, dass ich die Dinge so erklären kann.“ Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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