Kultur: Operntheatralische Effekte
Andris Nelsons im Sinfoniekonzert des Nikolaisaals
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Andris Nelsons im Sinfoniekonzert des Nikolaisaals Immer wieder stößt der Taktstock in Richtung der Bratschen. Ein rechter Ausfallschritt animiert die Violoncelli. Die geöffnete linke Hand greift sich die Klanmotive förmlich aus der Luft. Oft wandert das Stöckel von der rechten (Dirigier-)Hand in die linke, wo er in Ruheposition verharrt. Dann wieder sucht sich das linke Bein festen Halt, während der Körper sich nach hinten elegant in einer Wellenlinie biegt. Die Körperhaltung des 26-jährigen lettischen Dirigenten Andris Nelsons spricht bühnentheatralische Bände. Je nach dem Charakter der zu erklingenden Musik variieren die ausladenden Gesten. Mit der rechten Faust animiert er das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt zu Energieentladungen, aufgefächerte Finger der linken Hand suggerieren bevorstehenden Höhenflug. Zu solchem heben die Musiker beim 4. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal ab. Die Probenarbeit mit Andris Nelsons, seit vergangener Saison Chefdirigent der lettischen Nationaloper Riga, sei vorzüglich gewesen, ist von den Musikern zu vernehmen. So hört sich''s auch an. Temperamentvoll, energisch und effektvoll geht man zu Werke, passt sich erfreulicherweise den Bedingungen der Saalakustik an. Und so ist von Anfang bis Ende Ohrenfreundlichkeit und Durchhörbarkeit angesagt. Schon in der einleitenden sinfonischen Dichtung „Die Waldtaube“ von Antonin Dvorak breitet sich das dramatische Geschehen um eine Gattenmörderin, die einen jungen Burschen heiratet, vom Gurren einer Waldtaube (hervorgerufen durch die Triller von Flöten und Oboen) in Gewissensnot gerät und den Freitod wählt, im Überschwang jugendlichen Dirigierempfindens gleichsam als eine Opernszene aus. Ausgelassen, aber nicht knallig wird das Hochzeitstreiben gefeiert und konsequent in das katastrophische Finale getrieben. Die Ballade von Schuld und Sühne endet versöhnlich in C-Dur. Sie wurde von Leos Janacek in Brünn uraufgeführt. So ist es eine durchaus passende Geste, den beifallsfreudig aufgenommenen Abend mit einem Werk Janaceks zu beschließen. In dessen nationalhymnischer, von vielstimmigem Trompeten-, Tuben- und Posaunengeschmetter erfüllter „Sinfonietta“ trumpft das Staatsorchester mit strahlendem Glanz und schwelgerischer Gloria auf. Bei aller Effekthascherei bleibt der Klang jtransparent, füllig und frisch. Für die solistischen Auftritte ist der Trompetenvirtuose Reinhold Friedrich zuständig. Mit sichtbarer Lust an der Freude führt er im E-Dur-Konzert von Johann Nepomuk Hummel (1778-1837) kapriziöse Dialoge mit den kreuzfidel aufgelegten Musikern. Weich ist sein Ansatz, hell der Ton, extrovertiert sein redseliges Spiel. Signalartiges stellt Reinhold Friedrich vordergründig zur Schau. Nicht nur hierbei assistiert ihm der Dirigent mit pantomimischer Nachdrücklichkeit. Orchester und Solist befleißigen sich durchweg eines einheitlich brillanten Tons. Technische Schwierigkeiten sind dazu da, gemeistert zu werden. Auch im „Concerto piccolo über B-A-C-H“, einer originellen Verschränkung aus Barockzitaten und Moderne von Arvo Pärt (geb. 1935). Des vorzüglichsten Brillierens ist dabei fast kein Ende. Glasklare Stakkati auf der modernen Ventiltrompete klingen hell und grell. Die Seligkeiten einer Bachschen Sarabande (auf Piccolotrompete vorgetragen) erfahren plötzlich dissonante Verfremdung. Ein ständiger Wechsel zwischen den Stilen und den dazu passenden Tasteninstrumenten (Cembalo, Flügel). Solistische Präzision und Zusammenspiel mit dem eifrigen Staatsorchester bleiben gewahrt.Peter Buske
Peter Buske
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